Interview mit Jürgen Trittin "Grüne müssen Teil einer lagerübergreifenden Koalition sein"

Der Parteilinke Jürgen Trittin hat kein Problem mit der neuen Realo-Doppelspitze aus Robert Habeck und Annalena Baerbock. Eine Verschwörung gegen den linken Parteiflügel sieht er durch deren Wahl nicht. Der Neubeginn sei nötig, sagt er im Interview mit unserer Redaktion.

 Jürgen Trittin spricht bei der außerordentlichen Bundesdelegiertenkonferenz von Bündnis 90/Die Grünen in Hannover.

Jürgen Trittin spricht bei der außerordentlichen Bundesdelegiertenkonferenz von Bündnis 90/Die Grünen in Hannover.

Foto: dpa, bvj htf

Der Parteilinke Jürgen Trittin hat kein Problem mit der neuen Realo-Doppelspitze aus Robert Habeck und Annalena Baerbock. Eine Verschwörung gegen den linken Parteiflügel sieht er durch deren Wahl nicht. Der Neubeginn sei nötig, sagt er im Interview mit unserer Redaktion.

Welches Signal geht von der Wahl der neuen Doppelspitze mit Habeck und Baerbock aus?

Trittin Das ist natürlich ein Stück Erneuerung nach fast zehn Jahren Cem Özdemir und vier Jahren Simone Peter. Ein Neubeginn.

Was ändert sich denn durch die beiden?

Trittin Der neue Bundesvorstand hat aus meiner Sicht zwei Aufgaben: Das Profil der Grünen nach außen als klare Alternative zur großen Koalition zu schärfen und die Partei nach innen durch ein neues Grundsatzprogramm fit für die Zukunft zu machen. Das traue ich den beiden zu. Unser Grundsatzprogramm ist von 2002. Wir brauchen eine neue Form der Selbstvergewisserung — gerade auch mit Blick auf 2021.

Was ist das besondere Talent von Robert Habeck?

Trittin Er verbindet Überzeugung und Pragmatismus und hat das in praktischer Politik in Schleswig-Holstein bewiesen. Robert hat in fünf Jahren als Umwelt- und Energieminister nicht nur neue Ausbaurekorde bei den erneuerbaren Energien erzielt, sondern auch mehr Stromleitungen genehmigt als Horst Seehofer in seiner gesamten langen Amtszeit als bayerischer Ministerpräsident verhindert hat.

Sie haben persönlich für eine achtmonatige Übergangszeit für Habeck geworben, in der er noch Minister in Kiel bleiben darf. Warum?

Trittin Ich war nicht für eine Lex Habeck, sondern dafür eine Regelungslücke zu schließen, die wir bei der Trennung von Ämtern in der Satzung haben. Ich weiß sehr wohl aus eigener Erfahrung, dass man einen Spitzenjob in Partei oder Fraktion nicht neben einem anderen Job machen kann. Auf der anderen Seite brauchten wir eine vernünftige Lösung für Menschen, die wie Habeck jetzt noch in Regierungsämtern sind, die sie ordentlich abschließen müssen.

Wird es nicht ein Problem für Habeck sein, dass er kein Bundestagsmandat hat?

Trittin Das kann sein und kann auch nicht sein. Cem Özdemir und Claudia Roth mussten als Parteichefs neben der Fraktionshierarchie herlaufen, auch das war nicht immer einfach. Wichtig ist, dass Partei und Fraktion sich eng verknüpfen.

Eine Realo-Doppelspitze ist für Sie als Parteilinker kein Problem?

Trittin Für mich wäre es eher ein Problem gewesen, wenn gar keine Linken kandidiert hätten. Aber mit Anja Piel hatten wir ja eine linke Alternative zu Annalena Baerbock. Ich sehe keine Verschwörung einer Strömung durch die neue Doppelspitze. Ich glaube, dass wir auch im Bundesvorstand wie in der Fraktion einen sehr ausgewogenen Mix haben, in dem alle Strömungen sich wiederfinden und an den sie sich gebunden fühlen.

War Anja Piel Ihre Marionette? Wir wissen ja, dass Sie in der Parteilinken großen Einfluss genießen und wie Piel aus Niedersachsen stammen.

Trittin Nein. Die Frage grenzt mit Blick auf Anja schon an Beleidigung. Anja Piel ist niemandes Marionette. Ich habe ihren Mut bewundert, dass sie entschieden hat zu kandidieren gegen den Rat vieler, weil sie gesagt hat, die Partei muss auch eine Wahl haben.

Werden die Flügelkämpfe jetzt wieder stärker?

Trittin Wir haben in den Jamaika-Sondierungen gezeigt, wie gut die Flügel kooperieren. Viele waren überrascht, dass bei den Grünen weniger Papier zwischen die Verhandler passte als bei allen anderen Delegationen. Das ist eine Kultur, die wir uns unbedingt erhalten sollten.

Wie steht die Groko mit 53 Prozent Mehrheit im Bundestag da?

Trittin Dies ist die kleinste Groko aller Zeiten mit drei Parteivorsitzenden mit dem Berühmten "KW" — Vermerk - Künftig Wegfallend. Wie lang diese Groko regieren kann, hängt davon ab, ob und in welcher Form die CDU einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin für Angela Merkel findet. Das kann auch schon sehr bald sein, jedenfalls früher als erst in vier Jahren. Wir sind die einzige progressive und ökologische Kraft und damit die Alternative zur angeschlagenen, rückständigen Groko. Das ist unsere Chance.

Wie können die Grünen der SPD den Schneid abkaufen?

Trittin In Baden-Württemberg sind viele SPD-Wähler 2016 auch aus Frust über die große Koalition in Berlin zu den Grünen gegangen. So wurden die Grünen stärkte Kraft und Winfried Kretschmann blieb Ministerpräsident. Angesichts der Ambitionslosigkeit der SPD ist es mir lieber, die kommen auch im Bund zu uns, als dass sie im Lager der Nichtwähler landen. Wir haben breite Wählerschichten links der Mitte, die drücken sich aber bisher zu wenig im Wahlverhalten aus. Das hat damit zu tun, dass sich die SPD links der Mitte in den vergangenen 15 Jahren faktisch halbiert hat zu einer 20-Prozent-Partei. Die Herausforderung für uns ist es, diesen Menschen eine Stimme zu geben.

Regieren können die Grünen wohl nur noch in Dreierbündnissen, in denen entweder die Union oder die SPD der größere Partner sind. Was bevorzugen Sie?

Trittin Wenn man verhindern will, dass die rechtspopulistische AfD Einfluss in einer Regierung bekommt, sind aktuell nur lagerübergreifende Koalitionen möglich. Deshalb ist es klüger, wenn die Grünen Bestandteil dieser lagerübergreifenden Koalitionen sind, als dass es andere sind. Das verkennt natürlich nicht, dass die programmatische Nähe, was zum Beispiel die Frage der sozialen Gerechtigkeit oder die Zurückdrängung ökonomischer Macht in den Händen einiger weniger angeht, zur SPD und zur Linkspartei größer ist als zur Union. Nur ist das bei diesen Mehrheitsverhältnissen eine rein akademische Frage. Nach dem jetzigen Stand haben wir uns sogar weiter von rot-rot-grünen Mehrheiten entfernt. Und zwar rechnerisch wie inhaltlich, wenn ich die Linkspartei sehe. Was aber 2021 sein wird, wissen wir heute nicht.

Das Interview führte Birgit Marschall.

(mar)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort