Was der Altkanzler in Peking macht Mit Schröders alter Riege in China

Peking (RPO). China ist unserer Zeit voraus. Gestern Abend eilen die Deutschen in Peking der Zeit hinterher. Die Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit finden mit fünf Tagen Verspätung statt. Partnerland ist Niedersachsen. Ministerpräsident Christian Wulff hat seinen Vor-Vor-Vorgänger, Alt-Bundeskanzler Gerhard Schröder, nach Peking in die Deutsche Botschaft eingeladen. Das gibt dem Abend seinen besonderen Reiz.

 "Ich habe zwar ein Glas, aber da ist nichts drin": Gerhard Schröder lehnt sich lässig an den Pfeiler.

"Ich habe zwar ein Glas, aber da ist nichts drin": Gerhard Schröder lehnt sich lässig an den Pfeiler.

Foto: RP, Thomas Seim

Acht Jahre lang hat sich Wulff an Schröder vergeblich abgearbeitet, zwei Wahlen gegen ihn verloren — und nun soll es auch gut sein. Mit dem Ex-Politiker der SPD will der Nach-Nach-Nachfolger von der CDU ein normales Verhältnis. "Gerhard Schröder ist häufig in China gewesen. Er kennt hier viele Menschen, ähnlich wie Helmut Kohl und Helmut Schmidt. Von diesen drei Alt-Kanzlern ist einer Niedersachse — und den lade ich ein", sagt er.

 Unser Reporter Thomas Seim ist mit dem niedersächsischen Ministerpräsident Christian Wulff in Mumbai.

Unser Reporter Thomas Seim ist mit dem niedersächsischen Ministerpräsident Christian Wulff in Mumbai.

Foto: Rheinische Post

Schröders alte Riege

Schröder ist gekommen, in seinem Schlepptau immer noch große Namen der alten Unternehmerriege, die Schröder stets um sich versammelte: Der Chef der RWE-AG, Jürgen Großmann, dessen Tochter-Unternehmen Steag der alter Schröder-Wirtschaftsstaatssekretär Alfred Tacke leitet; der Vorstandsvorsitzende des Finanzdienstleisters AWD, Carsten Maschmeyer, der 1998 kurz vor der Wahl die Anzeigenkampagne "Der nächste Kanzler muss ein Niedersachse sein" für Gerhard Schröder finanzierte; VW-Chef Martin Winterkorn. Sie alle sind der Einladung Wulffs nach Peking gefolgt. Und sie alle sammeln sich sofort um Schröder.

Da ist sie wieder, die Schröder-Vergangenheit. Aber Wulff will eigentlich auf die Zukunft blicken. Deshalb hat er sich mit einer ungewöhnlich großen Wirtschaftsdelegation auf den Weg nach Indien und China gemacht. In Indien besucht er das gerade neu entstehende VW-Werk mit VW-Vorstand Jochem Heizmann. In Neu Delhi trifft er sich mit dem Planungsminister, Energievorständen und — mit dem indischen Premierminister Singh. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat ihrem Parteivize die Türen zu Singh geöffnet.

Das ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert: Zunächst ist es ungewöhnlich, dass ein indischer Premier überhaupt Zeit für einen Regierungschef aus einer deutschen Provinz findet. Nicht minder überraschend ist es, dass ausgerechnet die CDU-Vorsitzende sich in Indien für Wulff stark macht. Und schließlich ist es in der Welt der politischen Alphatiere auch nicht üblich, dass ein deutscher Ministerpräsident öffentlich einräumt, er habe die Schützenhilfe seiner Bundeskanzlerin und Parteivorsitzenden in Anspruch genommen.

Abweichung von der Regel

Es gehört zu den Eigenheiten Wulffs, dass er sich um solche Regeln nicht schert. Der niedersächsische Regierungschef gönnt sich die Abweichung von der Regel als politisches Gestaltungsmittel. Die Wirtschaftsdelegation hat Wulff so für sich eingenommen. Auch die Finanzwirtschaft lobt seine "sehr souveräne Art". Wulff sei, sagt ein Banker, "erfolgsorientiert und durchsetzungsstark". Die Manager sind froh darüber, dass sie mit ihm einen Ansprechpartner in der CDU-Spitze haben, sagen sie.

Doch die Lobredner sehen auch Schwächen. Zum Beispiel die, dass er sich im Ausland dolmetschen lässt. Oder dass er, wagt er sich doch einmal ins Englische, kuriose deutsch-englisch Sätze sagt wie: "My heart is full", weil im gerade angesichts der freundlichen Aufnahme an der Uni in Pune das Herz übergeht. Oder: "All words were spoken, but not from everyone", was soviel heißen soll wie: "Alles ist gesagt, aber noch nicht von allen". In den Hinterzimmern der Hotels schüttelt der umworbene Mittelstand darüber den Kopf. Insgeheim scheinen die Unternehmer doch jemanden zu vermissen, der ihnen souverän den Platzhirschen gibt.

Das Fest wird ruhiger

Einen wie Schröder eben. Der lehnt während der Begrüßungsrede Wulffs lässig an einem Pfeiler und zieht Mienen. Als zum Anstoßen auf den Tag der Einheit gebeten wird, ruft Schröder: "Ich habe zwar ein Glas, aber da ist nichts drin." Gegen Viertel nach sieben verlässt er die Party. Das Fest wird ruhiger.

Niedersachsens amtierender Ministerpräsident trifft sich in einem Hinterzimmer mit Opfern des großen Erdbebens in der Provinz Sinchuan. Wulff hilft bei der Organisation von Prothesen und Rollstühlen. In drei Monaten sollen sie geliefert werden.

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