MSV Duisburg Lieberknecht: "Fahren mit Respekt nach Duisburg"

Duisburg · Torsten Lieberknecht hat Eintracht Braunschweig zum Aufstiegsaspiranten in der 2. Liga geformt. Am Montag ist er beim MSV zu Gast. Im Interview mit unserer Redaktion spricht er über das anstehende Spiel.

 Braunschweigs Trainer Torsten Lieberknecht.

Braunschweigs Trainer Torsten Lieberknecht.

Foto: dpa, Peter Steffen

Herr Lieberknecht, Sie haben mit Ihrer Mannschaft bisher eine fulminante Saison gespielt, liegen mit 51 Punkten auf Platz zwei dicht hinter Hertha BSC Berlin. Wie fühlt es sich an, so kurz vor dem Einbiegen auf die Zielgerade zur Bundesliga?

Lieberknecht Soweit will ich noch nicht denken. Die Ausgangsposition ist gut. Wir dürfen vom Aufstieg träumen, und das machen wir auch, aber immer mit der entsprechenden Bodenhaftung und Fokussierung auf das jeweils nächste Spiel.

Sie wirken sehr besonnen. Dabei ist die Eintracht nur elf Spiele von einem möglichen Aufstieg entfernt. Sind Sie wirklich so cool wie es rüberkommt?

Lieberknecht Ich will es mal so beschreiben: Wir stecken alle in einer großen Traumblase, die nach Niederlagen wie der letzten gegen 1860 München kleiner wird, und sich nach Erfolgen wieder füllt. Es ist jedoch wichtig, die Objektivität beizubehalten. In Braunschweig wird Bodenständigkeit nicht gespielt, sie entspricht dem Charakter des Vereins. Die Mannschaft freut sich über den Erfolg, hebt aber nicht ab.

Ihr Team hat elf Spieltage vor Schluss zwölf Punkte Vorsprung auf den Drittplatzierten. Spüren Sie da etwa keinen Druck, aufsteigen zu müssen?

Lieberknecht Druck nicht. Wir spüren vielmehr eine große Euphorie. In Braunschweig sind die Leute stolz, dass sich der Verein sportlich so gut präsentiert ohne dabei Schulden oder finanziell große Sprünge zu machen. Diese Zahl zeigt, mit wie wenig wir hier auskommen müssen, aber auch wollen. Der Verein war aus wirtschaftlicher Sicht gezwungen, neue Wege einzuschlagen.

Sie sprechen es an. Als Sie die Mannschaft 2008 in der Regionalliga übernahmen, stand die Eintracht sportlich und wirtschaftlich am Abgrund. Mit welchem Plan sind Sie gestartet?

Lieberknecht Erst einmal brauchte ich keinen Plan. Es ging zunächst darum, die Qualifikation für die 3. Liga zu schaffen. Danach haben wir mit Präsidium, Geschäftsführung und Aufsichtsrat beschlossen, den Verein zu konsolidieren. Das hieß: Den Weg mit unbekannten Talenten und Spielern weiterzugehen, die wenig kosten, und dabei Ruhe in den Verein und sein hoch emotionales Umfeld zu bekommen. Wichtig war: Alle haben sich vom Konzept begeistern lassen — auch die Fans, die unsere Philosophie mittragen. Überdies stimmten die Resultate. Wir haben mit einem Rekordergebnis den Zweitligaaufstieg geschafft.

Und jetzt liegen Sie an der Spitze der 2. Liga — dabei stammt der überwiegende Teil des Kaders noch aus der 3. Liga. Was zeichnet Ihr Team aus?

Lieberknecht Wichtig war, die erste Zweitliga-Saison richtig zu analysieren. Wir haben in der Aufstiegssaison viele Punkte nicht nur erkämpft, sondern auch spielerisch überzeugt. Daher war es der Mannschaft zuzutrauen, dass sie sich weiterentwickelt und in der 2. Liga etabliert. Der aktuelle Saisonverlauf war so natürlich nicht zu erwarten.

Ist ihr Team reif für die Bundesliga?

Lieberknecht Auf jeden Fall, und ich würde auch jeden Spieler mitnehmen, weil der Aufstieg eine wahnsinnige Leistung wäre. Ich bin da vielleicht etwas romantisch veranlagt, aber die Jungs hätten es sich verdient, mitzugehen. Es gibt gute Beispiele wie Mainz und Freiburg, die es ebenso mit wenigen Mitteln geschafft haben, sich zu etablieren. Ich glaube, dass wir auch in der Bundesliga ein unbequemer Gegner sein können. Wohl wissend, dass wir dann nicht so oft gewinnen.

Am Montag treffen Sie mit dem MSV auf einen Verein, dem es in dieser Saison sportlich wie wirtschaftlich nicht gut geht. Was denken Sie, wenn Sie nach Duisburg schauen?

Lieberknecht Der MSV ist ein Klub, auf den man aufgrund seiner Historie immer schaut. Trotz der aktuellen Situation steht außer Frage, dass der Kader hohe Qualität besitzt. Zu Saisonbeginn hatte das Team Probleme, Punkte zu holen und ist dann aufgrund der Unruhe im Umfeld in einen negativen Kreislauf geraten. Sportlich ist der MSV aber viel höher anzusiedeln als dort, wo er steht. Wir fahren mit Respekt nach Duisburg.

Im Hinspiel stand es 80 Minuten 0:0. Braunschweig siegte dann aber 3:0.

Lieberknecht Ich erwarte wieder eine schwere Partie. Nicht zuletzt, weil sich die Qualität des Kaders durch die Rückkehr der Verletzten wie Julian Koch verbessert hat. In der Defensive spielen gute Jungs wie Branimir Bajic, die auch in der Offensive oder nach Standards gefährlich sein können. Wir haben letztes Jahr in Duisburg nicht gut ausgesehen, das wollen wir ändern.

Sie werden oft auf ihre Abschlussarbeit beim Trainerlehrgang angesprochen. Der Titel lautete "Der schwierige Spagat zwischen Tradition und Zukunft bei Eintracht Braunschweig". Tradition hat auch der MSV. Wie schafft man es, als Traditionsklub erfolgreich zu bleiben?

Lieberknecht Man darf die Emotionalität, die einen Traditionsverein umgibt, nicht herschenken, nur weil man visionär in die Zukunft schaut. Man muss lernen, Vergangenheit als Chance zu sehen und nicht als Last. Wichtig ist, dabei die Leute — inklusive Fans — mitzunehmen und zu begeistern. Wenn das alle verstanden haben, kann es funktionieren.

Wie gut ist ihr Kontakt zu Ilia Gruev?

Lieberknecht Ilia war von 2006 bis 2007 Co-Trainer der U 19 bei Rot-Weiß Erfurt, zu dieser Zeit haben sich unsere Wege gekreuzt. Seitdem ist der Kontakt geblieben.

Sie waren Spieler unter Jürgen Klopp, pflegen eine Freundschaft mit ihm. Tauscht man sich da regelmäßig aus?

Lieberknecht Wir haben acht Jahre zusammen bei Mainz 05 verbracht. Jürgen hat als Trainer aber mehr zu tun als ich, oft wird dann per SMS kommuniziert. Es wäre ein Traum, nächstes Jahr gegen ihn zu spielen.

Sie gelten als weniger impulsiver Trainer. Privat mögen Sie dagegen die lauteren Töne.

Lieberknecht (lacht) Wenn Sie auf meine musikalische Leidenschaft anspielen — dann ja. Ich mag Rock-, aber auch alternative Musik.

Ihr letztes Konzert?

Lieberknecht Bei Gossip in Köln. Ich sammele leidenschaftlich gerne CDs, meine Sammlung umfasst 4000. Ich bin da vielleicht altmodisch, aber ich brauche die CD in der Hand, um gegebenenfalls den beigefügten Text mitsingen zu können.

Als Kind waren Sie Lautern-Fan.

Lieberknecht Ich komme aus der Pfalz, habe dort als Jugendspieler begonnen. Klar schlägt das Herz dann für diesen Verein, aber ich drücke uns derzeit mehr die Daumen.

Ich frage deshalb, weil Sie sich früher ins Stadion geschmuggelt haben.

Lieberknecht (schmunzelt) Das stimmt, aber ich war noch klein, und es war die Idee meiner Brüder. Der Betzenberg war damals oft ausverkauft. Die Idee war, als Kabelträger zu fungieren. Also sind wir mit der Kabelrolle Richtung Stadion marschiert und wurden reingelassen.

Eine schöne Geschichte.

Lieberknecht Eine, die man nie vergisst. Heute würde das nicht mehr klappen.

(RP/seeg)
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