Interview mit Cem Özdemir "Die jetzige Merkel gefällt mir ganz gut"

Berlin · Grünen-Parteichef Cem Özdemir schlägt im Interview mit unserer Redaktion eine internationale Friedenskonferenz für Syrien in Berlin vor. Außerdem spricht er über seine Sicht auf Kanzlerin Angela Merkel.

Cem Özdemir – vom Parias zum Liebling der Grünen
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In seinem Bundestagsbüro empfängt uns Cem Özdemir hinter seinem großen Stehpult. Als Politiker sitze man stundenlang in Konferenzen. Für den Rücken sei es daher wichtig, bei der Büroarbeit mal zu stehen, sagt der Grünen-Chef, der statt Kaffee auch nur Tee trinkt. Um die Beine zu lockern, dribbelt er im Büro mit einem Fußball.

Bundeskanzlerin Merkel möchte Syriens Diktator Assad mit an den Tisch holen, um endlich Fortschritte bei der Lösung des Syrien-Konflikts zu erzielen. Wie bewerten Sie das?

Özdemir Für das Ziel einer Waffenruhe muss man zu vielem bereit sein. Klar muss aber sein, dass Assad nicht Teil einer neuen Regierung in Syrien sein kann. Man darf die andauernden Verbrechen von Assad nicht im Nachhinein legitimieren. Assad kann an der Spitze dieses Staates keine Zukunft haben. Man darf nicht vergessen, dass Assad selbst einen Krieg gegen seine Bevölkerung führt. Die Terrormiliz IS ist auch durch diesen grausamen Diktator groß geworden. Tagtäglich lässt er Fassbomben auf die Zivilbevölkerung fallen. Damit ist er ein Kriegsverbrecher und kein Partner für den Frieden.

Welche Rolle sollte Deutschland bei den Verhandlungen spielen?

Özdemir Deutschland sollte im Rahmen der EU und der Vereinten Nationen eine aktive Vermittlerrolle einnehmen. Das setzt voraus, dass wir alle Konfliktparteien ansprechen, also auch Iran, Saudi-Arabien und die Golf-Staaten, die in Syrien einen Stellvertreterkrieg führen. Berlin sollte auch Herrn Putin in die Pflicht nehmen.

Sollte Merkel ähnlich vorgehen wie in der Ukraine-Krise, als sie die Nachbarländer und die wichtigsten Mächte an einen Tisch holte?

Özdemir Ja. Es wäre gut, wenn Deutschland sich stärker gemeinsam mit den USA und Russland, den Nachbarn Syriens, insbesondere der Türkei, und den regionalen Kräften, um eine Friedensinitiative bemühen würde. Das Ziel muss eine Übergangsregierung in Syrien sein, an der möglichst viele Akteure beteiligt sind, mit Ausnahme des IS und Assad. Eigentlich gehört Assad nach Den Haag. Angesichts der Notwendigkeit, Russland und den Iran in eine Lösung einzubinden, muss man vielleicht akzeptieren, dass ihm sicheres Geleit nach Russland gewährt wird. Gelingt das nicht, befürchte ich eine Art 30-jährigen Krieg, der erst endet, wenn sich die Kriegsgegner erschöpft haben.

Wie finden Sie die Idee einer internationale Friedenskonferenz in Berlin?

Özdemir Warum nicht? Ich kann mir eine internationale Friedenskonferenz zu Syrien in Berlin gut vorstellen. Deutschland hat das Standing, alle beteiligten Parteien an einen Tisch zu bringen. Mit der wirtschaftlichen Stärke Deutschlands geht auch Verantwortung einher.

Wie begegnen die Grünen Befürchtungen in Deutschland, dass der Zustrom an Flüchtlingen nicht abreißt?

Özdemir Es ist die Bundeskanzlerin, die gesagt hat, dass unser Grundrecht auf Asyl keine Obergrenze kennt. Wir unterstützen die Kanzlerin darin. Daraus erwachsen aber große Herausforderungen. Wir müssen darauf dringen, dass andere EU-Länder mehr Flüchtlinge aufnehmen. Wer Leistungen von der EU in Anspruch nimmt, muss auch bereit sein, seinen Anteil an der gemeinsamen Verantwortung zu übernehmen. Wir müssen die Ursachen der Flüchtlingsbewegungen bekämpfen. Und wir müssen schauen, dass es in unseren Kommunen nicht zur Überforderung kommt.

Aber gerade die Grünen stehen doch für eine großzügige Asylpolitik. Jetzt warnen auch Sie vor einer Überforderung der Kommunen. Wie kommen Sie raus aus diesem Dilemma?

Özdemir Es ist gut, dass der Bund den Kommunen nun stärker unter die Arme greifen will, und dass die Asylverfahren beschleunigt werden sollen. Diejenigen, denen kein Asyl gewährt wird oder die nicht anderweitig in Deutschland bleiben dürfen, werden auch in ihr Heimatland zurückkehren müssen. Wir Grüne haben auf dem Flüchtlingsgipfel durchgesetzt, dass Deutschland künftig Menschen aus dem Westbalkan eine legale Zuwanderungsmöglichkeit anbieten wird. Das ist der Einstieg in ein längst überfälliges Einwanderungsgesetz, das Menschen auch ermöglicht, nicht den Weg über das Asylrecht gehen zu müssen. Wir brauchen legale Zuwanderungswege, die auch die Aufnahme und Integration regeln.

Kann Merkels Politik der offenen Tür ihrer Kanzlerschaft gefährlich werden?

Özdemir Fest steht: In der Nacht zum Freitag ist der Startschuss für das Einwanderungsgesetz gefallen. Auch die Frage, ob der Islam zu Deutschland gehört, ist nun klar mit Ja beantwortet, einfach durch die Zahl der zu uns kommenden Muslime und das herzliche Willkommen der Menschen auf den Bahnhöfen. Klar ist aber auch: Der Islam gehört zu Deutschland, der Islamismus hingegen nicht. Es ist die Ironie der Geschichte, dass gerade Frau Merkel und die CDU/CSU diejenigen sind, die endgültig die Entscheidung besiegelt haben, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist. Was bei Rot-Grün die Reform des Sozialsystems oder der Kosovo-Einsatz waren, ist für Merkel heute die Flüchtlingsfrage. An der Basis der Union kocht es gewaltig. Daran wächst man oder man scheitert.

Werden die von den Grünen mitregierten Länder dem Flüchtlingskompromiss von vergangener Woche im Bundesrat zustimmen?

Özdemir Ich gehe davon aus, dass eine Reihe von grün mitregierten Ländern dem Kompromiss im Bundesrat zustimmen werden. Wie viele es am Ende sein werden, hängt auch davon ab, wie die entsprechenden Gesetzesvorlagen der großen Koalition aussehen werden. Wir Grüne haben viel reinverhandelt, wie den erleichterten Zugang für Balkan-Flüchtlinge auf den deutschen Arbeitsmarkt, Hilfen für Roma im Balkan, mehr Sprachkurse und Hilfen für unbegleitete, minderjährige Flüchtlinge.

Diese neue, humanitäre Merkel wäre doch eine ideale Koalitionspartnerin für die Grünen 2017, oder?

Özdemir Merkel hat verschiedene Gesichter. Die jetzige Merkel gefällt mir in dieser Frage ganz gut. Aber sie hat auch immer die bucklige Verwandtschaft der CSU dabei. Dass CSU-Chef Seehofer sich mit Ungarns Regierungschef Orbán gemein macht, ist nicht nur eine Beleidigung für jeden Christen. Orbán steht für das Gegenteil christlicher Werte.

Werden Sie bei der geplanten Urwahl der Grünen antreten, wenn es um die Spitzenkandidatur für die Bundestagswahl 2017 geht?

Özdemir Im November auf dem Parteitag werde ich mich als Bundesvorsitzender wieder zur Wahl stellen. Die Bundestagswahl findet erst 2017 statt. Eins nach dem anderen.

(mar / qua)
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