Dietmar Bartsch im Interview "Wer kann denn schon erklären, warum wir in Afghanistan bleiben"

Berlin · Der Spitzenkandidat der Linken für den Bundestagswahlkampf legt sich zum am Freitag beginnenden Bundesparteitag fest: "Wir wollen regieren und die SPD zum Jagen tragen."

 Dietmar Bartsch, Spitzenkandidat der Linken für den Bundestagswahlkampf.

Dietmar Bartsch, Spitzenkandidat der Linken für den Bundestagswahlkampf.

Foto: dpa

Linken-Spitzenkandidat Dietmar Bartsch hat ein Eingreifen der Politik gegen den Kommerz im Fußball gefordert. "Wir dürfen die Britannisierung des Fußballes nicht zulassen", sagte Bartsch unserer Redaktion. In Hannover beginnt an diesem Freitag der Bundesparteitag der Linken. Sie will dort eine Demokratisierung der Fußball-Liga beschließen und ein Wahlprogramm verabschieden. Im Herbst will sie dann Deutschland (mit)regieren.

Ist Rot-Rot-Grün tot?

Bartsch Nein! Ich mache die Sinuskurven zu der Wahrscheinlichkeit von Mitte-Links nicht mit. Ich kämpfe für eine starke Linke, danach sehen wir weiter.

Kann der Schulz-Effekt wiederkommen?

Bartsch Effekthascherei reicht nicht. Der Schulz-Hype war ein Kunstprodukt. Er war das Ergebnis der gefühlten Befreiung von Sigmar Gabriel, einer in der Zeit professionellen SPD und einem wahnsinnigen Bedürfnis, endlich eine Alternative zu Angela Merkel zu bekommen. Die SPD aber blieb dieselbe wie unter Gabriel. Ihre Inhalte haben sich nicht verändert. Aber natürlich gibt es die Möglichkeit, dass die scheinbare Stabilität der Union und der Aufwind der FDP im September weg sind.

Bei den Landtagswahlen wirkte Rot-Rot-Grün wie ein Schreckgespenst.

Bartsch Das stimmt nicht. In NRW hat Frau Kraft viele Fehler gemacht, einer davon: drei Tage vor der Wahl die Nerven zu verlieren und jede Kooperation mit der Linken auszuschließen, und das als Ministerpräsidentin, die mal von der Linken gewählt worden ist. Die Konservativen werden im Sommer die Rote-Socken-Kampagne erneuern. Aber da sind wir gelassen: Denn das wirkt nur noch in den tiefsten bayerischen Wäldern.

Gibt es ein rot-rot-grünes Projekt?

Bartsch Wir müssen den Sozialstaat in Deutschland wiederherstellen. Dazu gehören große Reformen des Renten- und des Steuersystems, dazu gehören viele Projekte wie zum Beispiel die Bürgerversicherung. Die Schere zwischen riesigen Vermögen, gar Milliardären und immer mehr von Armut bedrohten Kindern und Älteren muss geschlossen werden. Und wir müssen das große Friedensprojekt Europa erhalten, das durch die Politik bedroht wird, die zu Brexit, Erstarken der Rechtspopulisten, horrender Jugendarbeitslosigkeit in den Südländern und Finanzkrise geführt hat. Das alles verantwortet auch die Politik von Merkel und Schäuble. Selbst Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hofft, dass sich die deutsche Politik verändert.

Teile Ihrer Partei wollen einen reinen Oppositionswahlkampf.

Bartsch Wir wollen regieren, wenn wir damit einen grundsätzlichen Wechsel der Politik erreichen. Es geht nicht um das Regieren an sich, es geht darum, fortschrittliche Politik durchzusetzen. Wir haben längst gezeigt, dass wir Oppositionsführerschaft können. Es ist jetzt notwendig, die SPD zum Jagen zu tragen. Sie muss wissen, ob sie nun wirklich etwas verändern oder weiter alles mitmachen will, was die Union vorgibt.

Und Rot-Rot-Grün scheitert nicht mal an Ihrem Nein zu Bundeswehreinsätzen?

Bartsch Wir werben allein für unsere Positionen. Auf der Grundlage entscheiden die Wähler, ob es die Möglichkeit von Koalitionsverhandlungen gibt. Eines gilt definitiv: Wo die Linke die Chance zur Veränderung des Landes in Regierungen bekam, war auf uns Verlass. Wenn uns die Menschen mit unserem Programm stark machen, werden wir auch Ergebnisse durchsetzen. Für manche Sozialdemokraten wäre ein Ende von Bundeswehr-Einsätzen eine Erlösung. Wer kann denn schon erklären, warum wir in Afghanistan bleiben, wo 15 Jahre Einsatz nahezu nichts gebracht haben?

Und Deutschland soll raus aus der Nato? Oder besser die Türkei?

Bartsch Die Türkei bewegt sich in Richtung islamistische Diktatur. Die willkürliche Inhaftierung von Journalisten und Anwälten, der blutige Krieg gegen die Kurden, die Missachtung der Frauenrechte, die Einschränkung der Pressefreiheit. Ihre Politik kollidiert mit den Nato-Statuten, und deshalb spricht viel dagegen, dass die Türkei in der Nato bleiben kann. Allerdings kann ich nachvollziehen, dass ein solcher Schritt die Trotz-Haltung in der Türkei befördern würde. Umso wichtiger ist es, die türkische Zivilgesellschaft zu stärken. Das ist einzugliedern in das Ziel, die Nato umzuwandeln in ein System kollektiver Sicherheit unter Einschluss Russlands. Die jetzige Nato ist ein Relikt der Systemauseinandersetzung aus dem vorigen Jahrhundert.

Sie wollen in Ihrem Leitantrag "offene Grenzen für alle". Wie soll das funktionieren?

Bartsch Die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung ist gescheitert, wir brauchen einen neuen Ansatz. Abschottung darf es nicht geben, sie ist für Zehntausende tödlich. Es ist nur logisch, dass links internationalistisch ist, wenn schon das Manifest auffordert: "Proletarier aller Länder, vereinigt Euch!" Die Konfrontationen zwischen Schwachen und Flüchtlingen sind falsch. Die eigentliche Barrikade, an der wir kämpfen müssen, ist die zwischen Superreichen in aller Welt, die an Krieg und Elend verdienen, und Menschen, die flüchten müssen. Wir haben in Bundestag und Bundesrat gegen jede Asylverschärfung gestimmt. Hier muss man Haltung zeigen, auch wenn es nicht überall populär ist.

Im Kapitel neue Drogenpolitik will der Leitantrag Spielautomaten aus Kneipen verbannen.

Bartsch Ich setze auf die Vernunft des Parteitages, diesen Satz zu verändern. Die Linke will nicht alle Freuden, auch die nicht unproblematischen, aus dem Leben der Menschen verbannen. Wir sind eine lustvolle und eine lächelnde Partei. Die Verbotspartei steht anderen besser.

Und dann will die Linke sich noch um die Fußball-Liga und die bessere Geldverteilung kümmern…

Bartsch Und das ist auch richtig. Wir dürfen die Britannisierung des Fußballes nicht zulassen. Die Werbe- und Fernseheinnahmen führen zu einer wachsenden Spaltung und dazu, dass Fußball irgendwann nicht mehr im öffentlichen Rundfunk zu sehen ist. Das ist Ausgrenzung, die die Politik auf den Plan rufen muss. Es ist doch nicht hinnehmbar, dass sich ein arabischer Scheich einen Fußballverein kauft und ihn ans Ende bringt. Die Politik muss hier Grenzen setzen. Ich habe nichts gegen die Sängerin, aber dass die Vermarktung so weit führt, dass Helene Fischer in der Halbzeitpause des Pokalendspieles singt, ist eine Zumutung. Der Sport darf nicht total durchkommerzialisiert werden.

Gregor Mayntz führte das Interview.

(may-)
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