"Polonicus"-Preisverleihung in Aachen Lech Walesa fordert Ende der deutschen Komplexe

Aachen · Der polnische Friedensnobelpreisträger Lech Walesa hat Deutschland aufgerufen, sich stärker in der europäischen Staatengemeinschaft zu engagieren. "Beenden Sie Ihre Komplexe. Sie müssen mehr Verantwortung in Europa übernehmen."

 Lech Walesa (Archivbild).

Lech Walesa (Archivbild).

Foto: dpa

Das sagte der 74-Jährige bei der "Polonicus"-Preisverleihung in Aachen. Deutschland sei nun einmal das wichtigste Land in der Europäischen Union, auch wenn er froh wäre, wenn dies Polen wäre. Sollte die Europäische Union in ihrer jetzigen Form durch Länder wie Polen oder Ungarn aufgelöst werden, dann müsse Deutschland eine Alternativlösung in der Tasche haben und "in fünf Minuten" eine neue EU gründen. Für sie müssten strenge Regeln herrschen, an die sich die Teilnehmer zu halten hätten, sagte Walesa, ohne auf die aktuelle politische Lage in seinem Heimatland einzugehen. Dort hatte es am Samstag massive Demonstrationen gegen den restriktiven Kurs der Staatsführung gegeben.

"Europa muss eine Wertedebatte führen"

Starken Beifall erhielt Walesa für seine Forderung, dass die Demokratie in Europa verbessert und die wirtschaftlichen Systeme überprüft werden müssten. Kommunismus komme nicht mehr infrage, aber auch der Kapitalismus "passt nicht in die neue Epoche". In Europa müsse eine Wertedebatte geführt werden, forderte Walesa, der bis 1990 Vorsitzender der Gewerkschaft Solidarnosc und von 1990 bis 1995 Staatspräsident Polens war. Der Chef der NRW-Staatskanzlei, Franz-Josef Lersch-Mense (SPD), bezeichnete Walesa als den "eigentlichen Motor der europäischen Demokratie". Die Deutschen würden nie vergessen, was er für die deutsche Einheit getan habe.

Im Krönungssaal des Aachener Rathauses wurde Walesa für sein Lebenswerk mit dem "Polonicus 2017" ausgezeichnet. Diese Skulptur, eine beflügelte jugendliche Gestalt aus Bronze, wird alljährlich vom Europäischen Institut für Kultur und Medien vergeben, das 2011 in Belgien gegründet wurde und seinen Hauptsitz in Aachen hat.

"Die Wahrheit zulassen"

Mit dem "Polonicus" wurden auch die polnische Filmregisseurin Agnieszka Holland sowie der CDU-Landtagsabgeordnete Werner Jostmeier geehrt, der Vorsitzender der Parlamentariergruppe NRW-Polen ist. Ohne Walesa und den damaligen Papst Johannes Paul II. wäre die deutsche Wiedervereinigung nicht möglich gewesen, sagte Jostmeier. Er bezeichnete das deutsch-polnische Verhältnis als "so gut wie seit 1000 Jahren nicht mehr", weil beide Völker "die Wahrheit zugelassen" hätten.

CDU-Landeschef Armin Laschet, der selbst Aachener ist, versicherte: "Die Freundschaft zu Polen eint das ganze nordrhein-westfälische Parlament." Oberbürgermeister Marcel Philipp sagte, Lech Walesa sei "Vorbild für uns als europäische Demokraten". Von den Vorwürfen, dass Walesa in jungen Jahren mit dem polnischen Geheimdienst kooperiert haben könnte, war auf dem Festakt keine Rede. Nach der Preisverleihung wurde Walesa von zahlreichen Gästen umringt und ließ sich mit ihnen bereitwillig fotografieren.

(RP)
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