Streit um Grundgesetzänderung Steinmeier hält Bundeswehreinsätze im Inland für unnötig

Berlin · Die Anschläge in Bayern haben den Streit über Einsätze der Bundeswehr im Inland neu entfacht. Während die CSU eine Grundgesetzänderung für notwendig hält, ist Außenminister Frank-Walter Steinmeier völlig anderer Meinung.

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Für entsprechende Pläne gebe es keinen vernünftigen Anlass, sagte er der "Passauer Neuen Presse". "Die Vorfälle am Wochenende haben die Schnelligkeit und das hohe Maß an Professionalität der Polizeikräfte gezeigt", sagte Steinmeier. "Da gab es keine Lücken, die von der Bundeswehr hätten gefüllt werden können oder gar müssen."

Seit vielen Jahren wird darüber gestritten, ob die Bundeswehr bei Terroranschlägen Aufgaben übernehmen darf, mit denen die Polizei überfordert ist. Im Grundgesetz findet sich dafür keine klare Regelung. Seit 2012 gibt es aber eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, nach der auch ein Terroranschlag ein "besonders schwerer Unglücksfall" nach Artikel 35 sein kann, bei dem der Einsatz von Soldaten zur Unterstützung der Polizei erlaubt wäre.

Bundeswehr darf zur Evakuierung und Versorgung eingesetzt werden

Im gerade erst verabschiedeten Weißbuch zur Sicherheitspolitik hatten sich die Koalitionspartner auf den Kompromiss verständigt, dass die Bundeswehr bei größeren Terroranschlägen auch ohne Grundgesetzänderung etwa zur Evakuierung oder medizinischen Versorgung eingesetzt werden kann. Dieser Kompromiss ist Grundlage für geplante Anti-Terror-Übungen von Polizei und Bundeswehr.

Diese Übungen sollen schon im August bei einem Ministertreffen vorbereitet werden. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen und Innenminister Thomas de Maizière (beide CDU) wollen dann mit drei Landesinnenministern von Union und SPD über die Modalitäten beraten, wie die Deutsche Presse-Agentur aus Regierungskreisen erfuhr.

Die Übungen sind Teil des Neun-Punkte-Plans für mehr Sicherheit in Deutschland, den Bundeskanzlerin Angela Merkel am Donnerstag vorgestellt hat. Die Idee entstand aber schon vor den Anschlägen von Würzburg und Ansbach. An dem Vorbereitungstreffen sollen der Vorsitzende der Innenministerkonferenz, Saarlands Ressortchef Klaus Bouillon, sowie die Innenminister Nordrhein-Westfalens und Mecklenburg-Vorpommerns, Ralf Jäger (SPD) und Lorenz Caffier (CDU), teilnehmen.

Die CSU hatte am Donnerstag ihr Konzept "Sicherheit durch Stärke" bei einer Kabinettsklausur in St. Quirin am Tegernsee beschlossen. Es sieht eine Aufrüstung der Polizei und eine deutliche Verschärfung ihrer Sicherheitspolitik vor. Dazu gehört auch die Forderung zum Einsatz der Bundeswehr im Innern.

Nach dem Amoklauf in München vor einer Woche waren Feldjäger der Bundeswehr in Bereitschaft versetzt worden. Über einen Einsatz der Soldaten hätte die Polizei entschieden.

Die Fakten:

- Artikel 35, Absatz 1, sieht die gegenseitige Amtshilfe aller Behörden des Bundes und der Länder vor. Das heißt: Wenn eine Behörde überfordert ist, springt eine andere ein. Die Bundeswehr gilt als Behörde des Bundes.
- Artikel 35, Absatz 2, erlaubt den Einsatz der Streitkräfte "bei einer Naturkatastrophe oder bei einem besonders schweren Unglücksfall".
- Artikel 87a, Absatz 4 erlaubt den Einsatz von Soldaten "zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes" (Notstand).
Die Bundeswehr darf dann sogar "beim Schutze von zivilen Objekten und bei der Bekämpfung organisierter und militärisch bewaffneter Aufständischer" mitwirken.

Bei der Flutkatastrophe in Hamburg 1962 und später bei Hochwasserkatastrophen an Oder und Elbe bauten tausende Soldaten Dämme und halfen bei Evakuierungen. Solche Einsätze können sowohl unter Amts- als auch unter Katastrophenhilfe nach Artikel 35 laufen. Zuletzt war die Bundeswehr mit tausenden Soldaten bei der Flüchtlingshilfe im Einsatz. Sie unterstützt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge bei der Unterbringung, beim Transport oder auch bei der Registrierung von Flüchtlingen. Auch das ist Amtshilfe. Nur nach Artikel 87a wurde die Bundeswehr noch nie eingesetzt. Die Frage stellte sich bisher auch nicht, weil noch nie der Notstand ausgerufen wurde.

An dieser Stelle beginnt es kompliziert zu werden. Seit vielen Jahren wird darüber gestritten, ob die Bundeswehr bei Terroranschlägen Aufgaben übernehmen darf, mit denen die Polizei überfordert ist. Im Grundgesetz finden sich dafür keine klare Regelungen. Seit 2012 gibt es aber eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, nach der auch ein Terroranschlag ein "besonders schwerer Unglücksfall" nach Artikel 35 sein kann, bei dem der Einsatz von Soldaten zur Unterstützung der Polizei erlaubt wäre.

Mitte Juli verabschiedete das Bundeskabinett das neue Weißbuch zur Sicherheitspolitik, das die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aufgreift. "Das Vorliegen eines besonders schweren Unglücksfalls kommt auch bei terroristischen Großlagen in Betracht", heißt es darin. Unter engen Voraussetzungen könnten die Streitkräfte sogar "Eingriffs- und Zwangsbefugnisse" wahrnehmen.

Im Klartext: Die Bundesregierung erkennt an, dass ein Bundeswehreinsatz bei einem großen Terrorangriff im Inland vom Grundgesetz gedeckt ist. Auf eine Verfassungsänderung verzichtet sie daher. Streiten kann man allerdings immer noch darüber, wie groß ein Terroranschlag sein muss, damit die Bundeswehr eingreifen darf, und welche Mittel sie dann anwenden darf.

Der Kompromiss aus dem Weißbuch hat bereits jetzt praktische Auswirkungen. Nach dem Amoklauf von München ging die Polizei zunächst von einer "akuten Terrorlage" aus. Drei Attentäter mit "Langwaffen" seien in der Stadt unterwegs, hieß es. Daraufhin wurden rund 100 Feldjäger und Sanitäter der Bundeswehr in Bereitschaft versetzt. Sie hätten bei der Evakuierung oder medizinischen Versorgung von Verletzten helfen können, wenn die Polizei darum gebeten hätte.

Theoretisch könnten Soldaten auch zum Objektschutz, also etwa zur Bewachung von U-Bahnhöfen oder Flughäfen eingesetzt werden - wie in Brüssel und Paris. Bewaffnete Soldaten auf Deutschlands Straßen - das würde vielen aber zu weit gehen.

Demnächst sollen gemeinsame Übungen von Polizei und Bundeswehr für den Fall eines großen Terroranschlags stattfinden. Im August sollen bei einem Ministertreffen die Modalitäten geklärt werden.

(felt/dpa)
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