Deutsches Tennis Theoretisch Weltklasse

New York/Düsseldorf · Den deutschen Tennis-Damen wird großes Talent attestiert – sie können es bei den vier großen Grand-Slam-Turnieren allerdings nur selten auch abrufen. Bei den Herren ist die Lage noch viel schlimmer.

US Open: SabineLisicki verliert gegen verletzte Simona Halep
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Lisicki verliert gegen verletzte Halep

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Foto: afp, TC/kb

Es ist wieder an der Zeit, dass sich alle in der deutschen Tennisszene artig versichern, alles ist eigentlich doch viel besser, als es derzeit ist. Damit gemeint sind die Damen, die Herren haben selbst die größten Optimisten für lange Zeit abgeschrieben. Angelique Kerber, Andrea Petkovic und Sabine Lisicki dagegen sind Hochgelobte, denen zugetraut wird, eines der vier großen Grand-Slam-Turniere in Melbourne (Australian Open), Paris (French Open), London (Wimbledon) und New York (US Open) zu gewinnen. Sabine Lisicki war 2013 mit ihrer Finalteilnahme in England am nächsten dran. Sie ist damals auf dem "heiligen Rasen" nicht an ihrer Gegnerin Marion Bartoli (Frankreich) gescheitert, sondern an sich selbst. Fehlendes Selbstbewusstsein, Unsicherheit in entscheidenden Momenten eines Spiels, sind die größte Bremse auch der anderen ambitionierten Akteurinnen im Land.

US Open: Angelique Kerber scheidet nach großem Kampf aus
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Kerber scheidet nach großem Kampf aus

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Und so bleiben nur die üblichen Erkenntnisse. "Ich war am Drücker, deshalb tut es so weh. Ich bin wahnsinnig enttäuscht", sagte Lisicki nach dem 7:6 (8:6), 5:7, 2:6 gegen Simona Halep. Die Rumänin hatte sich während des Duells im Achtelfinale der US Open am Oberschenkel verletzt und humpelte sichtbar gehandicapt über den Platz. Lisicki vertraute indes hernach nicht auf ihre Stärken, sondern war offenbar mehr mit dem Leid der Kontrahentin beschäftigt. Die hatte ihre Schmerzen dann doch ganz gut im Griff und ist eine Runde weiter - Lisicki dagegen trauert den vergebenen Chancen nach. Die Fehler suchte sie vor allem in körperlichen Defiziten. "Ich habe im zweiten Satz Krämpfe bekommen. Das ist mir erst einmal passiert", verkündete sie. "Da bist du dann einfach hilflos."

Es war der konsequent verkorkste Abschluss einer Grand-Slam-Saison der deutschen Frauen. Auf eine Viertelfinal-Teilnahme wartete man bei den prestigeträchtigsten Turnieren vergeblich. "Das tut schon weh. Aber ich denke nicht, dass es noch mal so ein Jahr bei den Majors geben wird", sagte Bundestrainerin Barbara Rittner dem Sportinformationsdienst (sid). Rittner traut ihnen nach wie vor den großen Coup bei einem der vier großen Turnieren zu: "Denn ich weiß, was sie können."

US Open: Philipp Kohlschreiber scheitert an Roger Federer
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Philipp Kohlschreiber scheitert an Roger Federer

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Foto: dpa, msc

Im Fußball werden besonders begabte Jahrgänge als "Goldene Generation" bezeichnet - sie alle eint in der Regel, dass man von ihnen schwärmt, sie aber nichts gewinnen. Dieses Schicksal soll Lisicki und Co. nicht widerfahren, wenngleich einem die Fantasie fehlt, wann, wo und wie der Knoten doch noch platzen könnte. Die Uhr tickt. Petkovic und Kerber sind bald 28 Jahre alt, Lisicki wird in wenigen Tagen 26. Ein exorbitanter Sprung ist von ihnen nicht mehr zu erwarten, man weiß, was sie können - und was eben nicht. Kerber zum Beispiel hat eine durchaus starke Vorstellung in New York abgeliefert - die Niederlage in der dritten Runde gegen die Weißrussin Victoria Azarenka (5:7. 6:2, 4:6), immerhin zweimalige Grand-Slam-Siegerin, machte durchaus Hoffnungen. Auf dieses Prinzip setzt auch Rittner und sagt: "Ich hoffe insgesamt, dass die Mädels im nächsten Jahr lockerer bei den Grand Slams spielen."

Es geht längst nicht mehr darum, eine Nachfolgerin von Steffi Graf zu finden. Man ist mit den Jahren deutlich bescheidener geworden. Man wäre schon zufrieden, wenn die Spielerinnen der Gegenwart ihr durchaus vorhandenes Potenzial auch mal über eine längere Strecke abrufen könnten. Vielleicht sind sie aber zu lange verhätschelt worden. Vielleicht hat man ihnen zu oft gesagt, was man ihnen alles zutraut. Sie selbst müssen auch daran glauben. Die Tennis-Nation sehnt sich nicht nach großen Reden, sondern positiven Ergebnissen.

(gic)
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