Pechstein verliert vor Gericht "Jeder Flüchtling genießt Rechtschutz, wir Sportler nicht"

Karlsruhe · Eisschnellläuferin Claudia Pechstein hat in ihrem jahrelangen Prozess-Marathon vor dem Bundesgerichtshof eine herbe Niederlage erlitten. Ans Aufgeben denkt die fünfmalige Olympiasiegerin aber nicht.

Claudia Pechstein verliert vor Gericht
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Foto: dpa, ude fdt

Claudia Pechstein fuhr der Schock in die Knochen. Mit versteinerter Miene und wie vom Donner gerührt vernahm die Eisschnellläuferin am Bundesgerichtshof in Karlsruhe das Urteil der Richter. Es ließ das juristische Fundament ihres jahrelangen Kampfes um Wiedergutmachung wie ein Kartenhaus einstürzen.

Die Schadenersatzklage der fünfmaligen Olympiasiegerin gegen die Internationale Eislauf-Union ISU ist unzulässig. Ihre erhoffte Entschädigung in Millionenhöhe sowie die angestrebte Umwälzung der Sportgerichtsbarkeit sind nach ihrer bislang wohl schwersten Niederlage vor Gericht in weite Ferne gerückt.

Zunächst wortlos verließ Pechstein das Gerichtsgebäude an der Seite ihres Lebensgefährten Matthias Große, ging nach einer längeren Beratung mit ihrem Team aber direkt wieder in den Angriffsmodus über. Die 44-Jährige will sich noch lange nicht geschlagen geben.

"Jeder Flüchtling, der nach Deutschland kommt und sich registriert, genießt Rechtsschutz. Wir Sportler nicht. Das zeigt, dass wir vor Gericht Menschen zweiter Klasse sind", sagte Pechstein: "Was ich da heute gehört habe, ist definitiv nicht akzeptabel für mich. Fest steht: Es ist noch nicht zu Ende." Die Berlinerin kündigte den Gang vor das Bundesverfassungsgericht sowie die Gründung einer Sportlergewerkschaft an.

Sollte sie mit ihrer Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht scheitern, will Pechstein zur Not vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ziehen. Fraglich ist jedoch, wie Pechstein an die dafür notwendigen finanziellen Mittel gelangen will.

"Sie ist durch die ungerechtfertigte Dopingsperre wirtschaftlich ruiniert worden", sagte ihr Anwalt Thomas Summerer am Dienstag. 750.000 Euro kostete sie nach eigenen Angaben bislang der Kampf gegen den Weltverband ISU, der sie 2009 aufgrund zu hoher Blutwerte für zwei Jahre gesperrt hatte. Einen Teil davon bezog sie aus Spenden. Pechstein führte die Blutwerte stets auf eine von ihrem Vater vererbte Anomalie zurück und wurde in dieser Einschätzung von führenden Hämatologen bestätigt.

Pechstein hat die ISU auf rund fünf Millionen Euro verklagt. Das Landgericht München hatte sich für den Fall zunächst nicht zuständig erklärt, daraufhin war sie erfolgreich vor das OLG gezogen. Die ISU war als unterlegene Partei anschließend beim BGH in Revision gegangen.

In der Begründung des BGH spielte die von Pechstein unterzeichnete Schiedsvereinbarung die entscheidende Rolle. Im Gegensatz zum OLG erkannte der Kartellsenat des BGH das Verbandsgericht an. Die von Pechstein unterschriebene Vereinbarung, die unter anderem die ausschließliche Zuständigkeit des Court of Arbitration für Sport (CAS) vorsieht, sei zulässig, hieß es.

Das Gericht betonte, dass Pechstein vor der WM 2009 die Schiedsvereinbarung "freiwillig" unterzeichnet habe. Dass sie das gemacht habe, weil sie sonst nicht hätte starten dürfen, führe nicht "zur Unwirksamkeit der Vereinbarung".

Das BGH ist zudem der Meinung, dass die ISU nicht ihre marktbeherrschende Stellung als alleiniger Weltverband missbraucht habe. Die ISU sei zwar Monopolist bei internationalen Veranstaltungen, einen Missbrauch sah das Gericht aber nach einer "umfassenden Abwägung der beiderseitigen Interessen" nicht. Das BGH würdigte den CAS als ein "echtes" Schiedsgericht und unterstrich die Vorteile des Sportgerichts, schnell und nach einheitlichen Maßstäben im Sinne der Verbände und Sportler zu urteilen.

Wie das Gericht weiter erklärte, stehe Pechsteins Justizgewährungsanspruch und ihr Recht auf freie Berufswahl der Verbandsautonomie der ISU gegenüber. Die Athletin könne weiter vor den schweizerischen Gerichten klagen, ein Anspruch "auf Zugang zu den deutschen Gerichten besteht danach nicht".

Während sich ISU-Rechtsbeistand und CAS-Anwalt Dirk-Reiner Martens "bestätigt" fühlte, quittierte Pechstein die vom BGH angeführten Argumente mit Kopfschütteln. "Ich bin davon ausgegangen, dass es nicht für mich ausgeht, aber was ich da gehört habe, ist definitiv nicht akzeptabel für mich", sagte sie: "Ich denke, es dauert noch ein paar Jahre. Aber ich habe Ausdauer und kämpfe bis zum Schluss."

Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) und Dagmar Freitag, Vorsitzende des Sportausschusses im Deutschen Bundestag, begrüßten das Urteil. Der Bundesgerichtshof habe den Rechtsweg über echte Schiedsgerichte in vollem Umfang bestätigt, erklärte der DOSB-Vorstandsvorsitzende Michael Vesper. Er betonte aber auch: "Unabhängig von der Entscheidung des BGH tut es uns für Claudia Pechstein persönlich leid, dass ihr langer Kampf um Schadensersatz vor deutschen Zivilgerichten nicht erfolgreich war."

Dagmar Freitag hob hervor, dass Deutschland auch künftig nicht zum sportgerichtlichen Sonderfall werden wird. "Generell begrüße ich das Urteil, weil die Gefahr, dass der Sport in Deutschland ansonsten international isoliert sein könnte, nun gebannt ist", sagte Freitag dem SID und meinte: "Es ist wichtig, dass es für alle Athleten weltweit eine gewisse Vergleichbarkeit bei der Rechtsprechung gibt."

(seeg/sid/dpa)
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