Stuttgart Autokonzerne im Visier der Justiz

Stuttgart · Jetzt auch noch Daimler: 230 Beamte durchsuchten gestern mehrere Standorte des Automobil-Herstellers. Wieder geht es um angebliche Abgasmanipulationen - wie zuvor bei Volkswagen, Fiat und Peugeot. Die Diesel-Krise spitzt sich zu.

Wenn Unternehmen Geschäftsberichte veröffentlichen, gibt es viele Kapitel, in denen eine Erfolgsgeschichte geschrieben wird. Und dann gibt es eins, in dem man in den Abgrund blickt: Im Risiko- und Chancenbericht geht es um die Frage "was wäre wenn" - und fast jeder Satz ist hier in der Hoffnung geschrieben worden, dass er für das Unternehmen nie zur Realität wird.

Bei Daimler dürfte man nun noch stärker darauf hoffen, dass der Bericht nicht zum Drehbuch wird. Denn dann könnte es für den schwäbischen Autokonzern sehr eng werden. Mit 23 Staatsanwälten und 230 Polizisten durchsuchte gestern ein Großaufgebot der Justiz mehrere Daimler-Standorte in verschiedenen Bundesländern. Es geht um Vorwürfe, Daimler hätte bei Diesel-Abgaswerten betrogen. Durchsucht wurden dabei insgesamt elf Objekte in Baden-Württemberg, Berlin, Niedersachsen und Sachsen. Es wurden dabei auch Räumlichkeiten durchsucht, die nicht zum Daimler-Konzern gehören. Zu Details wollte sich die Staatsanwaltschaft nicht äußern. Daimler teilte lediglich mit, man kooperiere vollumfänglich.

Doch welche Gedanken man sich im Unternehmen macht, zeigt der Risikobericht: Pflichtgemäß hatte das Unternehmen dort darauf hingewiesen, dass gleich mehrere Behörden in den USA und Deutschland gegen Daimler ermitteln. In diesem Zusammenhang, heißt es, könnten auch Hausdurchsuchungen stattfinden, es könnte dazu kommen, dass man einen Rechtsverstoß einräumen müsste, dass sogar Diesel-Fahrzeuge nicht zugelassen werden oder neu zertifiziert werden müssen. Ja, auch Geldstrafen und Rückrufaktionen seien denkbar. Sollten einige dieser Ereignisse eintreten, schreiben die Daimler-Mitarbeiter, könnten sie einen "erheblichen Kollateralschaden zur Folge haben".

Noch sind das nur Spekulationen. Doch Automobil-Experten wie Ferdinand Dudenhöffer von der Uni Duisburg-Essen sehen in den Durchsuchungen einen Fingerzeig, dass es nun ernst werden könnte für die Stuttgarter: "Die Wucht, mit der ermittelt wird, ist schon erstaunlich", sagt Dudenhöffer: "Das ist keine Kinderspielerei."

Das Unternehmen sieht sich gleich mit einer Reihe von Problemen konfrontiert: Allein in den USA ermitteln verschiedene Umwelt- und Landesbehörden gegen Daimler, Anwälte haben Sammelklagen auf den Weg gebracht und auch die Börsenaufsicht hat sich eingeschaltet. Und dann ist da noch das US-Justizministerium, das den Konzern aufforderte, in einer internen Untersuchung den Vorwürfen nachzugehen. Ähnlich wie VW, das die Kanzlei Jones Day mit den Ermittlungen beauftragt hatte, hat sich auch Daimler Unterstützung durch eine Rechtsanwaltskanzlei geholt. Die Untersuchung wird nach Informationen der Fachzeitschrift "Juve" vom Münchener Anwalt Benno Schwarz geleitet, Partner in der Kanzlei Gibson, Dunn & Crutcher.

In Deutschland wiederum hatte die Staatsanwaltschaft im März bekanntgegeben, dass man gegen "namentlich bekannte und unbekannte Mitglieder der Daimler AG" ermittle. Die Zahl der Verdächtigen liegt nach Informationen unserer Redaktion bislang bei unter zehn. Gegen Vorstände wird aktuell offenbar noch nicht ermittelt.

Daimler betont weiterhin, nicht betrogen zu haben - genau wie viele andere Auto-Hersteller, bei denen die angegebenen Abgaswerte erheblich von der Realität abweichen. Doch die Branche gerät wöchentlich stärker unter Druck. Zuletzt durchsuchten Staatsanwälte die Unternehmenszentrale von Audi, pikanterweise während dort die Jahrespressekonferenz stattfand. In Frankreich ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen den Autokonzern PSA Peugeot Citroën wegen möglicher Täuschung bei Diesel-Abgaswerten, die EU-Kommission geht wegen Abgas-Tricks gegen den italienischen Autobauer Fiat vor - und dann ist da natürlich noch der Abgasskandal bei VW, der Gerichte wohl noch jahrelang beschäftigen wird. "Das Endspiel für den Diesel hat begonnen", sagt Experte Dudenhöffer: "Die Autobauer müssen schnell umsteuern."

(frin)
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