Kissingers Analyse vor Obamas Besuch Deutschland für USA nur zweite Wahl

Berlin · Das deutsch-amerikanische Verhältnis ist eine Woche vor dem Besuch des US-Präsidenten Barack Obama auf ein nüchternes Arbeitsverhältnis abgekühlt. Ex-Außenminister Henry Kissinger findet das nicht schlimm.

 Henry, ehemals Heinz) Kissinger: Der letzte Transatlantiker in der US-Politik ist ein Franke.

Henry, ehemals Heinz) Kissinger: Der letzte Transatlantiker in der US-Politik ist ein Franke.

Foto: dpa, Gero Breloer

Der letzte Transatlantiker in der US-Politik ist ein Franke. Heinz Alfred Kissinger, geboren am 27. Mai 1923 in Fürth. Als sein jüdischer Vater mit seiner Familie 1934 vor den Nazis nach New York floh wurde aus Heinz Henry. Henry Kissinger.

In diesen Tagen ist der Ex-US-Außenminister, Friedensnobelpreisträger, Präsidentenberater, Buchautor und weltweit anerkannte Staatsmann wieder auf Heimatbesuch. Eine Woche vor dem ersten Berlin-Besuch von US-Präsident Barack Obama ist Kissinger, kürzlich 90 Jahre alt geworden, ein gefragter Gesprächspartner in Politik und Wirtschaft. "Erklär mir Amerika" lautet die inoffizielle Agenda Kissingers in den Vortragssälen, Kaminzimmern und Hotelfoyers der Berliner Republik. Immer wieder muss Kissinger eine Frage beantworten: Interessieren sich die USA überhaupt noch für Deutschland?

Ein bestechend scharfer Verstand

Dazu später noch. Am Montagmorgen dieser Woche, 8.30 Uhr, kommt ein äußerlich gebrechlicher Mann, Kopf und Körper leicht gesenkt, gestützt auf einen schwarzen Stock, in das Konferenzzimmer des Allianz-Forums am Pariser Platz. Zweite Etage. Südflügel. Durch die Fenster ist die USA-Flagge der amerikanischen Botschaft am anderen Ende des Platzes zu sehen. Das Brandenburger Tor glänzt in der Sonne. Kissinger lächelt, begrüßt Wolfgang Ischinger, den Chef der Münchner Sicherheitskonferenz und früheren Botschafter in Washington. "Wolfgang, du bist ja überall", scherzt er.

Henry Kissinger ist auf Einladung von Frank Freiling, ZDF-Außenpolitikchef und Koordinator des deutsch-amerikanischen Journalistenprogramms Arthur F. Burns, in dessen Beirat Kissinger sitzt, gekommen. Im Gespräch mit der Handvoll Journalisten zeigt sich, wie wenig die körperlichen Schwächen über die geistige Fitness dieses Mannes aussagen.

Kissinger seziert die außenpolitischen Konfliktfelder Syrien, Iran, Nordkorea detailbeflissen und analytisch scharf. Interessen, Strategien, Ziele, Lösungen. Ideologien kommen bei ihm nicht vor. Pragmatismus, wie ihn Angela Merkel lieben würde. Man ahnt, warum umstrittene Staatschefs wie Russlands Präsident Wladimir Putin oder Chinas neuer Mächtiger Li Keqiang den Rat des alten Manns aus Fürth suchen.

Obamas Ignoranz wurmte Merkel lange

Das ist nicht immer populär. Kissingers frühere Positionen, etwa die Unterstützung des chilenischen Generals Augusto Pinochet 1973, werden bis heute diskutiert. Als intellektueller Vordenker der republikanischen Außenpolitik war es Kissinger, der als Harvard-Absolvent 1957 die Analyse "Nuclear Weapons and Foreign Poliy" veröffentlichte, in der die Grundlage für die atomare Abschreckungspolitik gelegt wurde. Als Berater der US-Präsidenten Richard Nixon, Gerald Ford und später auch Ronald Reagan ließ Kissinger dies in konkrete Politik umsetzen. Heute wirbt er für "Global Zero", das Ende der Atomwaffe als politischen Mittels. So wie US-Präsident Barack Obama.

Am kommenden Montag nun wird Obama vor dem Brandenburger Tor sprechen. Endlich, sagen jene im transatlantischen Corps, die sehnsüchtig auf Obamas offiziellen Berlin-Besuch gewartet haben. Immerhin ist Obama der erste US-Präsident der Nachkriegszeit, der in einer vierjährigen Amtszeit die deutsche Hauptstadt mied. Kanzlerin Angela Merkel, ein glühender Amerika-Fan seit ihrer ersten Reise nach dem Mauerfall, wurmte das lange. Zwar ist Merkel keine große Freundin des Pathos und der Inszenierungspolitik Obamas, erst Schritt für Schritt bauten beide ein gutes persönliches Verhältnis zueinander auf. Doch dass die USA Deutschland so lange ignorierten, ärgerte sie dann doch.

Emotionen interessieren ihn nicht

Der bekennende Realpolitiker Henry Kissinger kann mit diesen Befindlichkeiten nicht viel anfangen. Emotionen lässt er in seiner Analyse der deutsch-amerikanischen Beziehungen außen vor. Kissinger will aus dem Gespräch nicht wörtlich zitiert werden. Doch dass sich der Blick der US-Administration auf den alten Verbündeten gravierend geändert hat, wird in jeder Antwort deutlich. Kissinger beschreibt die gute Reputation, die die Deutschen im amerikanischen Volk genießen. Es klingt wie zwei langjährige Studienfreunde, die sich inzwischen räumlich voneinander entfernt haben, aber eigentlich ganz gut damit leben können, dass sie sich nur noch zweimal im Jahr sehen.

Die US-Elite, so lässt sich Kissinger verstehen, geht über Europa hinweg. Das ist gar nicht böse gemeint. Deutschland wird halt nicht mehr wirklich gebraucht, mal abgesehen von der akuten Bewältigung der Euro-Krise. Aber der Frust der Amerikaner über die militärische Zögerlichkeit der Deutschen, die schwache institutionelle Einheit Europas, ist auch in Kissingers Ausführungen zu spüren. Und natürlich habe China Priorität in Obamas Außenpolitik. Das zeigt sich etwa darin, wie pompös und inszeniert Barack Obama den chinesischen Staatschef Xi Jinping vor wenigen Tagen in einer Ferienanlage in Kalifornien empfing. Der Gipfel beschäftigte die US-Medien landesweit.

Die Journalisten schauen bedröppelt

Kissinger sagt es nicht, aber: Dass die US-Amerikaner einem Treffen von Merkel und Obama so viel Aufmerksamkeit schenken würden, ist undenkbar. Merkel ist respektiert, sicher. Obama hält viel von der klugen, strategisch denkenden Kanzlerin. Aber es ist eben nur eine alte gute Freundin, "let's move on!" Die großen strategischen Linien der US-Außenpolitik — sie führen nach Asien.

Kissinger schaut in die leicht bedröppelten Gesichter der deutschen Journalisten. Und es wirkt fast entschuldigend, als er anmerkt, dass John F. Kennedy ja auch nicht besonders leidenschaftliche Beziehungen zu Adenauer gehabt habe. Kennedys legendäre Rede vor dem Rathaus in Schöneberg vor exakt 50 Jahren verstelle den Blick etwas. Da ist Kissinger wieder ganz der Realpolitiker.

(brö)
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