Zehntausende kommen aus Tunesien Deutschland will Flüchtlinge draußen halten

Berlin (RPO). Europa streitet über den Umgang mit den Flüchtlingen aus Tunesien. Über die italienische Insel Lampedusa wollen Tausende nach Europa. Die Regierung Berlusconi versucht, die EU-Partner in die Pflicht nehmen. Doch Deutschland wehrt sich. Italien soll das Flüchtlingsproblem alleine lösen, so die klare Position von Innenminister Hans-Peter Friedrich. Parteikollegen drohen damit, notfalls die Grenzkontrollen wieder zu verschärfen.

Das ist Hans-Peter Friedrich
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In der Flüchtlingsfrage pochte Italien am Wochenende weiter auf eine europäische Lösung. "Europa kann sich der Sache nicht entziehen", appellierte Regierungschef Silvio Berlusconi noch am Samstag bei einem Besuch auf der Mittelmeerinsel Lampedusa. Insbesondere von den Deutschen fordert er ein Entgegenkommen.

Eine "egoistische Antwort" auf den "menschlichen Tsunami" dürfe es nicht geben, sagte Berlusconi mit Blick auf die Ankunft tausender nordafrikanischer Flüchtlinge auf Lampedusa. "Das ist kein italienisches Problem, sondern ein europäisches."

"Wir haben diese Probleme mit Deutschland, aber wir lösen das", sagte Berlusconi bei seinem Besuch in Lampedusa. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) müsse einsehen, dass Europa etwas "Reales oder Konkretes" sei. Ansonsten könne sich die EU wieder aufspalten und jeder Staat seine eigenen "Ängste und Egoismen" verfolgen. Frankreichs Europaminister Laurent Wauquiez sagte der italienischen Zeitung "La Repubblica" vom Sonntag, Frankreich habe nicht die Absicht, seine Grenze zu Italien zu schließen.

Extreme Zustände

Wenn in der Politik von einem italienischen Flüchtlingsproblem die Rede ist, dann sind damit derzeit 26.000 Menschen gemeint, die meisten von ihnen Tunesier. Nach dem Sturz ihres Präsidenten Zine El Abidine Ben Ali im Januar entflohen sie der Armut und Perspektivlosigkeit in ihrem Land, um in Europa ihr Glück zu suchen. Die meisten riskieren bei der Überfahrt ihr Leben. Ihr erster Zufluchtsort ist meist die Insel Lampedusa. Dort campieren seit Wochen Tausende unter menschenunwürdigen Umständen. Eine Extremsituation - auch für die Bewohner der Insel.

Rom hat wiederholt beklagt, von den anderen europäischen Staaten in der Flüchtlingsfrage alleingelassen zu werden. Am Donnerstag versuchte die Regierung den Befreiungsschlag: Italien stellte tausenden tunesischen Flüchtlingen aus "humanitären Gründen" befristete Visa zu, mit denen sie in alle Länder des Schengen-Raums reisen könnten. Die ersten Visa wurden inzwischen ausgestellt.

Gegen den Geist von Schengen

Die Entscheidung löste in Deutschland und Frankreich Kritik und Verärgerung aus. Der Ton ist in den wenigen Tagen seit der Entscheidung aus Rom schärfer geworden. Das Bundesinnenministerium in Berlin sprach am Freitag vom einem "Verstoß gegen den Geist des Schengener Abkommens", am Wochenende drohten Unionspolitiker damit, wieder Grenzkontrollen einzuführen, unter anderem an der Grenze zwischen Bayern und Österreich.

Auch aus der Bundesregierung schlägt Berlusconi Ablehnung entgegen. Italien muss nach Ansicht von Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) alleine mit den zehntausenden Flüchtlingen aus Nordafrika zurechtkommen. "Italien muss sein Flüchtlingsproblem selber lösen", sagte Friedrich der "Welt" von Montag. Italiens Vorhaben, den Flüchtlingen Visa auszustellen, verstoße gegen den Geist des Schengen-Abkommens, mit dem die Mitgliedstaaten ihre Kontrollen an den Binnengrenzen abgeschafft hatten.

Deutsche Politiker werfen Italien Rechtsbruch vor

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) drohte angesichts der angekündigten Visa-Ausstellung mit Grenzkontrollen an der deutsch-österreichischen Grenze. "Die Wiedereinführung von Grenzkontrollen ist das letzte Mittel", sagte Herrmann der "Welt am Sonntag". "Wir werden es nicht hinnehmen, dass die italienische Regierung die Tunesier einfach zu Touristen erklärt und sie auf diese Weise in andere Länder schiebt".

Der innenpolitische Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion, Hans-Peter Uhl, bezeichnete den italienischen Vorstoß in der Online-Ausgabe der "Mitteldeutschen Zeitung" als "eklatanten Verstoß gegen europäisches Recht" und sprach sich für Grenzkontrollen der Schengen-Staaten für Einreisende aus Italien aus. Bereits am Freitag hatte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums eine "lageangepasste Verschärfung der Grenzkontrollen" angekündigt.

Massive Kritik aus der Kirche

Der Vorsitzende der Innenministerkonferenz, Hessens Innenminister Boris Rhein (CDU), hält nach eigenen Worten sogar ein Aussetzen des Schengen-Systems für denkbar. "Sollte die italienische Regierung gegen alle Regeln sowie europäisches Recht verstoßen und Aufenthaltstitel gewähren, die dazu führen, dass Flüchtlinge in andere europäische Länder ausreisen können, dann wird zu erwägen sein, ob in Deutschland das Schengen-System vorübergehend außer Kraft gesetzt wird", sagte Rhein der "Welt". Die Folge sei dann, dass es wieder Grenzkontrollen geben werde.

Scharfe Kritik an der deutschen Flüchtlingspolitik gab von seiten der Kirche. Der deutsche Kurienkardinal Walter Kasper bezeichnete die Haltung der Bundesregierung als "inakzeptabel". Es sei "nicht christlich", vor jenen die Türen zu schließen, die vor Gewalt und Ungerechtigkeit aus Nordafrika fliehen, sagte Kasper der Turiner Tageszeitung "La Stampa". Die Sorgen der Politiker seien zwar durchaus verständlich; Europa könne nicht "alle" aufnehmen. "Die deutsche Opposition gegenüber Visa" sei jedoch "inakzeptabel", hob Kasper hervor, der bis zum Sommer 2010 Präsident des päpstlichen Einheitsrates war.

Am Montag wird Tacheles gesprochen

Das Thema soll beim Treffen der EU-Innen- und Justizminister am Montag in Luxemburg zur Sprache kommen. Dort möchte die italienische Regierung gemeinsam mit Malta und Zypern erreichen, dass eine Schutzklausel von 2001 wieder angewendet wird, nach der die Flüchtlinge automatisch in der EU verteilt werden, falls eine sehr große Zahl Flüchtlinge kommt. Dies lehnt die Bundesregierung ab. "Es gibt keinen Grund, die Massenfluchtrichtlinie wieder zu aktivieren", sagte Friedrich.

Bei dem EU-Treffen soll nun EU-Innenkommissarin Cecila Malmström Vorschläge zu mehr Solidarität unter den Mitgliedsländern bei der Aufnahme von Flüchtlingen machen.

(AFP/dapd)
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