Schwerpunkt Parteien Rot-Grün mit Gelb?

SPD-Fraktionschef Steinmeier hält eine Koalition aus SPD, Grünen und FDP im Bund für möglich. In der FDP bröckelt der Widerstand gegen eine Ampelkoalition. Intern können Liberale sogar mit Grünen.

Berlin Im September 2009 war die FDP im Höhenrausch. Zweistellige Umfragewerte schmückten die FDP kurz vor den Bundestagswahlen, reihenweise Wahlsiege in den Ländern ließen Parteichef Guido Westerwelle vor Kraft strotzen. Als die SPD in ihrer Verzweiflung eine Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP ins Spiel brachte, reagierte Westerwelle auf dem FDP-Parteitag in Rostock mit Häme: "Wir sind Liberale. Blöd sind wir nicht." Der Jubel war groß.

"Die Wähler von Grünen und Liberalen streben nach Abstand zur Masse"

Zweieinhalb Jahre später sieht die Sache etwas anders aus. Führende Mitglieder der Drei-Prozent-Partei können sich nun durchaus vorstellen, im Herbst 2013 mit SPD und Grünen eine Koalition zu bilden. "Natürlich ist das eine Option für uns", sagte ein FDP-Präsidiumsmitglied gestern unserer Zeitung. Die Neigung bei den Liberalen, sich vom Dauerkoalitionspartner CDU zu trennen, ist nach den Demütigungen und Niederlagen in der schwarz-gelben Koalition größer geworden. "Aber wir werden das Thema öffentlich nicht befeuern." Schließlich will man die Wähler nicht verschrecken, die in den vergangenen Jahren stets mit der Botschaft beschallt wurden, dass die FDP als "Steigbügelhalter" für Rot-Grün niemals zur Verfügung stehen werde.

Seit der gemeinsamen Kür von Joachim Gauck als Bundespräsidentschafts-Kandidat durch SPD, Grüne und FDP ist die Ampel in aller Munde. Die Duz-Bekannten Sigmar Gabriel (SPD-Chef) und Philipp Rösler (FDP-Chef) hatten sich in dem Tauziehen um den Kandidaten eng abgestimmt und mehrfach telefoniert. Gabriel zeigte sich später angetan von Röslers Nervenstärke im koalitionsinternen Poker. Röslers Umfeld berichtete wiederum, dass man mit Genugtuung gemerkt habe, dass das Duo Gabriel-Rösler auch in einer politischen Extremsituation verlässlich funktioniere.

Nun hat auch SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier seine Liebe zu den Liberalen wiederentdeckt. Er wolle das FDP-Verhalten bei der Einigung auf Gauck zwar "nicht zu hoch bewerten", sagte Steinmeier im Deutschlandfunk. "Aber ich sage mir: Warten wir mal ab, was sich da tut." In der SPD sind die Kommentare zu den Liberalen derzeit auffallend freundlich. Zwar sei Rot-Grün das Ziel, sagt Fraktionsvize Hubertus Heil. "Ich kann im Zweifelsfall aber auch eine Ampel nicht ausschließen." Die FDP müsse selbst entscheiden, ob sie "gemeinsam mit der schwarz-gelben Koalition untergehen wolle". Der SPD-Finanzexperte Carsten Schneider betont: "Ausschließen lässt sich ein solches Bündnis nicht. Aber es ist ein weiter Weg." Der Sprecher des konservativen "Seeheimer Kreises" in der SPD, Garrelt Duin, ist skeptischer. "Brüderle und Trittin, Roth und Solms, welcher sozialdemokratische Kanzler will sich das antun?" Die Ampel sei "blanke Theorie", sagt er.

Inhaltlich sind die Widersprüche tatsächlich groß. SPD und Grüne streben Steuererhöhungen für Wohlhabende, Erben und Kapitalanleger an. Die FDP lehnt dies ab. Der allgemeine gesetzliche Mindestlohn ist ein Muss für Rot-Grün. Die FDP hat zwar branchenspezifische Lohnuntergrenzen mitgetragen, ist aber weiter gegen den flächendeckenden Mindestlohn. In der Gesundheitspolitik stehen sich die Positionen "Bürgerversicherung" und private Vorsorge konträr gegenüber. Dafür sind die Schnittmengen in der Justiz-, Rechts- und Innenpolitik vorhanden. Die einst verfeindeten Parteien Grüne und FDP haben bei den Themen Bürgerrechte, Lohnanreize für Geringverdiener, Freiheit im Internet und Datenschutz in jüngerer Vergangenheit durchaus Gemeinsamkeiten gefunden.

Berührungspunkte gibt es zusehends in der Klientel von Grünen und FDP. Der Göttinger Politikwissenschaftler Franz Walter hat in seinem Buch "Gelb oder Grün?" herausgearbeitet, dass die "besserverdienende Mitte" der Gesellschaft, mithin das Bildungsbürgertum, die Kreativen, Selbstständigen und leitenden Angestellten, sich je nach persönlichen Schwerpunkten bei FDP und Grünen wiederfinden. "Die potenziellen Wähler von Grünen und Liberalen wünschen eine exquisite Rolle, streben nach Distinktion, nach sichtbarem Abstand zur Masse", schreibt Walter. Stimmt diese These, dürften Grüne und Gelbe auch gemeinsame Ansätze finden. Mindestens so wichtig wie die inhaltlichen Positionen wäre bei Koalitionsverhandlungen aber die persönliche Chemie zwischen den Beteiligten.

Und da steht die Ampel auf Grün. Neben dem guten Verhältnis von Rösler und Gabriel hat FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit einen Draht zu Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin gefunden. Brüderle versteht sich auch bestens mit Grünen-Chefin Claudia Roth. FDP-Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger gilt intern als Vorkämpferin sozialliberaler Bündnisse und pflegt den Austausch mit Sozialdemokraten. Ihr vor Jahren gegründeter regelmäßiger Gedankenaustausch zwischen SPD-Politikern und Liberalen, die nach einem Berliner Restaurant benannte "Maxwell-Runde", soll nach einer längeren Pause nun wiederbelebt werden. Zu der Runde gehört auch NRW-FDP-Chef Daniel Bahr. Von dem Gesundheitsminister ist bekannt, dass er eine sozialliberale Koalition in einem Bundesland für wünschenswert hält, um die Machtoptionen der FDP zu verbreitern. Eine Ampel würde der Chef des größten FDP-Landesverbands mittragen. An FDP-Chef Rösler würde das Bündnis auch nicht scheitern. Es könnte die einzige Chance des 39-Jährigen sein, seine Partei in der Regierung zu halten. Und sich im Amt.

(RP/jh-)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort