Borussia Mönchengladbach Ein Krimi am Ostersamstag auf dem Weg zum Wunder

Mönchengladbach · Die Saison 2015/16 könnte sich durchaus noch zum Krimi entwickeln, die Saison 2010/11 war ohne Zweifel einer: In einer kleinen Serie zeichnen wir bis zum 25. Mai den Weg zur sensationellen Rettung in der Relegation nach. Heute: der 1:0-Sieg gegen Borussia Dortmund.

Bundesliga 10/11: Gladbach - Dortmund
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Bundesliga 10/11: Gladbach - Dortmund

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So richtig interessant wurde das Thema erst im Herbst 2011. Da hatte Lucien Favre die Borussia auf Platz zwei in der Bundesliga geführt, für eine Nacht im November sogar an die Spitze. Die Zeitungen druckten "Favre-Tabellen", die den Zeitraum seit dessen Amtsantritt abdeckten, und sie taten es immer wieder, bis der Trainer im September 2015 seinen Rücktritt bekanntgab. Sah halt gut aus für Gladbach, das das obere Tabellendrittel inzwischen nur noch aus der 2. Bundesliga kannte.

Am Morgen des 23. April 2011 stand jedoch keine "Favre-Tabelle" in irgendeiner Zeitung. In zwölf plus zwei Spielen rettete Favre die Borussia vor dem Abstieg. Rückblickend wird dabei oft vergessen, dass der Schweizer beim abgeschlagenen Bundesliga-Schlusslicht keinen Schalter umlegte und es fortan lief wie am Schnürchen. Die ersten Wochen waren zumindest ergebnistechnisch beschwerlich. Zehn Punkte hatte Gladbach aus den ersten acht Favre-Spielen geholt, bevor am 23. April 2011 Borussia Dortmund zu Gast war, der Meister in spe. Ein Meilenstein war bis dahin nur die Reduzierung des Gegentorschnitts auf eines pro Spiel gewesen.

Die wundersame Rettungsgeschichte sollte an jenem Ostersamstag in den zweiten Akt übergehen. Acht Tage vorher war Gladbach beim FSV Mainz schon zum zweiten Mal unter Favre so gut wie abgestiegen. "So gut wie" heißt ja nichts anderes, als dass es für Fakten noch einen Tick zu früh war, Spieleraussagen oft aber begannen mit: "Solange rechnerisch noch alles möglich ist..." In einem Kommentar unserer Redaktion hieß es: "Man muss das Glück auch erzwingen. Und dafür waren die Borussen wieder mal nicht mutig genug."

So sah die Tabelle vor dem 31. Spieltag aus:

  • 13. K'lautern 34 Punkte
  • 14. Stuttgart 33 Punkte
  • 15. Frankfurt 33 Punkte
  • 16. Wolfsburg 29 Punkte
  • 17. St. Pauli 29 Punkte
  • 18. Gladbach 26 Punkte

Es war ein Samstagabendspiel gegen Dortmund, bei sommerlichen 28 Grad. Wer beim Betreten des Stadions seine Brille nicht auf hatte, konnte meinen, der lästige gelbe Blütenstaub hätte die gesamte Südkurve bedeckt oder Gladbach habe im Rahmen eines Kunstprojektes die Sitze ausgetauscht. Schon weit vor dem Anpfiff bevölkerten knapp 20.000 BVB-Fans den Borussia-Park, um auf den Videowänden die Konferenz zu verfolgen: Bei einem Punktverlust der Leverkusener konnte Dortmund schon am Abend Meister werden.

Die immer noch rund 35.000 Gladbach-Fans wollten das natürlich nicht im eigenen Stadion mitansehen müssen. In Lissabon hatte man gerade erst die Rasensprenger ein- und das Flutlicht ausgeschaltet, um Porto die Feierlichkeiten zu vermiesen. Aber jegliche Befürchtungen waren schon vor dem Anpfiff hinfällig: Leverkusen gewann und verkürzte den Abstand auf Dortmund.

Lucien Favre plagten ohnehin andere Sorgen. Er musste Mike Hanke (gesperrt) und Dante (Muskelverhärtung) ersetzen. Dafür spielte Patrick Herrmann (damals so alt wie Mo Dahoud heute) und Roel Brouwers (damals schon "Roooooooel" und erstmals seit fünf Monaten in der Startelf). So begann die Borussia dieses Spiel, in dem ein Sieg erstmals seit dem 20. November 2010 den Sprung auf Platz 17 bringen konnte, weil St. Pauli nachmittags verloren hatte.

Fast fünf Jahre war Gladbach kein Sieg gegen die Namenscousine gelungen. 2006 hießen die Helden Kahê und Nando Rafael. Vermutlich empfand Mo Idrissou das als motivierend, als er in der 35. Minute einen Arango-Pass annahm, sich gegen Neven Subotic durchsetzte und den Ball mit links an Dortmund-Keeper Roman Weidenfeller vorbei ins kurze Eck setzte. Rafael, Kahê, Idrissou — welch ein Dreiklang.

55 Minuten blieben noch. Auf "Sky" hatten sie darauf verwiesen, wie lange dem Letzten kein Sieg mehr gegen den Ersten gelungen war. Die Konstellation gibt es schonmal zu Beginn einer Saison, aber jetzt war sie besonders brisant, da Dortmund kurz vor dem Titelgewinn stand und Gladbach bei jedem weiteren Punktverlust davon ausgehen musste, dass es der eine zu viel sein würde.

Im Tor zeigte Marc-André ter Stegen das erste überragende Profispiel seiner Karriere und mutierte, frei nach Joachim Witt, zum "Goldenen Rheydter". Gegen den 1. FC Köln (5:1) und den FSV Mainz (0:1) war der 18-Jährige zuvor einfach fehlerlos geblieben, hatte aber noch nicht glänzen müssen. Zwischen André Schürrles halbtraumatischem Treffer in Mainz und dem nächsten Gegentor durch Änis Ben-Hatira in Hamburg sollten 344 Spielminuten vergehen, die Grundlage fürs Nichtsabstiegswunder. 24 Schüsse des BVB flogen an jenem Abend in Richtung von ter Stegens Tor. Einmal riskierte er Kopf und Kragen, Tony Jantschke bügelte die Sache für ihn aus.

Es hat seitdem viele Spiele im Borussia-Park gegeben, in der jeder und alles unter Hochspannung stand. Aber selten ging es für einen bestimmten Zeitraum ausschließlich darum, ein Ergebnis zu halten, nämlich Idrissous 1:0 aus der 35. Minute. Natürlich ahnte da niemand, dass ein 1:1 auch für die Relegation reichen würde, bei denselben Ergebnissen in den folgenden Spielen gegen Hannover, Freiburg und Hamburg. Wobei Gladbach dann punktgleich mit dem 17. aus Frankfurt gewesen wäre, die gleiche Tordifferenz gehabt und einfach nur mehr Tore erzielt hätte.

Wer diesen Sieg gegen Dortmund gesehen hat, das eine Woche später trotzdem schon Meister wurde, der wird sich nicht beschweren, dass das Spannungspotenzial dieser Saison nur zu 98 und nicht zu 100 Prozent ausgereizt wurde. "Wir stehen schon so lange da unten", sagte Martin Stranzl nach dem erstaunlich unaufgeregten Auftritt gegen den BVB, der anscheinend nur das Publikum um seine Fingernägel gebracht hatte. "Uns schockt einfach nichts mehr."

So sah die Tabelle nach dem 31. Spieltag aus:

  1. 13. Stuttgart 36 Punkte
  2. 14. Köln 35 Punkte
  3. 15. Frankfurt 34 Punkte
  4. 16. Wolfsburg 32 Punkte
  5. 17. Gladbach 29 Punkte
  6. 18. St. Pauli 29 Punkte

Blick ins Archiv:

Teil 1 der Serie (18. März): Als Baillys Faust den Abstieg besiegelte

Teil 3 folgt am 14. Mai

(jaso)
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