Olaf Thon spricht über Schalke und Bayern "Es geht ein Ruck durch Schalke"

Gelsenkirchen · Auf Schalke machen sie sich schon wieder Sorgen. Unter der neuen Führung mit Sportdirektor Christian Heidel und Trainer Markus Weinzierl soll alles besser werden. Der Start in die Bundesliga aber misslang. Schalke-Repräsentant Olaf Thon kennt die Stimmungsschwankungen im Klub.

 Olaf Thon im Jahr 1984: Im Mai gelingt dem Schalker Nachwuchsspieler durch drei Tore im DFB-Pokal gegen die Bayern der Durchbruch.

Olaf Thon im Jahr 1984: Im Mai gelingt dem Schalker Nachwuchsspieler durch drei Tore im DFB-Pokal gegen die Bayern der Durchbruch.

Foto: Imago

Herr Thon, heute (20.30 Uhr) empfängt der FC Schalke den FC Bayern - machen Sie sich um die Königsblauen Sorgen?

Thon Nein, ich bin eigentlich sogar sehr zuversichtlich.

Zum Bundesligaauftakt haben die Bayern den SV Werder Bremen mit 6:0 abgefertigt.

Thon Wenn man so spielt wie die Bremer, muss man froh sein, dass der FC Bayern noch nicht so gut drauf war. Das war eine blutleere Vorstellung, so hat man gegen den Rekordmeister keine Chance.

Schalke hat beim ersten Auftritt in Frankfurt auch nicht überzeugt. Woher also Ihre Zuversicht?

Thon Stimmt, wir haben uns tatsächlich auch nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Das müssen wir ändern, sonst werden wir gegen den FC Bayern schlecht aussehen. Man muss sich mit Herz und Leidenschaft dagegenstellen und um jeden Meter kämpfen. Nur so geht es. Fährmann im Tor, dazu Höwedes, der die Abwehr dirigiert, und ein Huntelaar in der Offensive. Es gibt keinen Grund, sich verstecken zu müssen. Besonders Huntelaar hat mir gegen Frankfurt gut gefallen. Er sah wieder richtig spritzig aus.

Heißt das, in der vergangenen Saison schleppte sich Huntelaar mit zu vielen Kilos über den Platz?

Thon Das heißt, dass in der vergangenen Saison das Spiel nicht so auf ihn abgestellt war. Huntelaar ist ein ganz spezieller Typ mit herausragenden Qualitäten, davon gibt es nicht so viele auf der Welt. So viele aktive Fußballerjahre bleiben ihm nicht mehr, um zu zeigen, was er für ein außergewöhnlicher Spieler ist. Ich wünsche ihm, dass er in dieser Saison viele Gelegenheiten dazu bekommt.

Es fällt auf, dass viele Kontrahenten des FC Bayern quasi im vorauseilenden Gehorsam überhaupt nicht versuchen, allzu große Gegenwehr zu leisten. Kuscht die Liga vor einem schier übermächtigen Gegner?

Thon Manchmal wundert man sich schon, wie ängstlich Mannschaften gegen die Bayern auftreten. Unser neuer Trainer Markus Weinzierl hat gezeigt, dass es auch anders geht. Er hat mit dem FC Augsburg enge Spiele gegen die Münchner abgeliefert und zweimal gewonnen. Ich würde mich auch über ein Unentschieden freuen. Und ich bin sicher, das sehen viele Fans ähnlich.

Machen die Bayern das Geschäft nicht schrecklich langweilig?

Thon Ich finde es überhaupt nicht langweilig. Ich bin als Deutscher vor allem stolz, dass eines der besten Teams Europas, vermutlich der Welt, bei uns in der Bundesliga spielt. Was dem FC Bayern fehlt, ist ein absoluter Megastar. Ein Ibrahimovic, wie ihn Manchester United hat, ein Messi beim FC Barcelona oder ein Ronaldo bei Real Madrid. Ich bin mir aber sicher, dass München bald auch in dieser Kategorie mithalten kann. Uli Hoeneß steht ja vor der Rückkehr als Präsident und wird sicher einige Ideen haben, um den Klub weiterzuentwickeln.

Haben Sie noch einen engen Draht zu Hoeneß?

Thon Keinen engen Draht. Ich respektiere ihn aber nach wie vor sehr. Er hat seine Strafe abgesessen und meine Devise lautet, jeder verdient eine zweite Chance im Leben.

Aber muss man nicht auch bewerten dürfen, mit welchen Mitteln ein Erfolg erzielt wurde?

Thon Ja, aber mir geht es um die Verhältnismäßigkeit. Sicher ist nicht alles richtig gelaufen.

Die Meisterschaft in der Bundesliga ist schon vor dem ersten Spieltag entschieden, wie sieht es mit den Platzierungen dahinter aus?

Thon Die Mannschaft aus Lüdenscheid (Borussia Dortmund, Anm. d. Red.) kommt an erster Stelle. Dann Leverkusen und Mönchengladbach - leicht dahinter Schalke.

Die Erwartungshaltung auf Schalke ist extrem hoch. Kann man die überhaupt erfüllen?

Thon Sehen Sie, ich habe diesmal ein wirklich gutes Gefühl. Es geht ein Ruck durch den Verein. Man muss aber auch Geduld haben. Ein Neuanfang bedeutet, dass man auch etwas Vertrauen haben muss.

Geduld und Schalke - da müssen wir doch eigentlich gemeinsam herzhaft lachen.

Thon Ich glaube schon, dass eine positive Veränderung möglich ist. Sie haben aber schon Recht, ich will das auch glauben.

In der Gruppenphase der Europa League trifft der FC Schalke unter anderem auf Salzburg. Investor Red Bull steht in der Kritik, weil er sich mehr um sein Bundesliga-Projekt in Leipzig kümmert. Können Sie die Aufregung verstehen?

Thon Ich habe persönlich überhaupt nichts gegen Leipzig. Dem Osten Deutschlands tut ein Verein in der Bundesliga sehr gut. Ich bin mir sicher, dass in den nächsten fünf Jahren ein weiterer Verein nach oben kommen wird - Dynamo Dresden leistet hervorragende Arbeit.

Durch Klubs wie RB Leipzig könnte aber schon bald die bisherige Ordnung in der Liga verändert werden. Haben Sie nicht die Sorge, dass auch Klubs wie Schalke abgehängt werden?

Thon Schalke steht näher an Platz eins als an Platz zehn. Ich glaube, Leipzig wird sich im Mittelfeld einsortieren. Ich vergleiche das Projekt immer mit Hoffenheim. Im Kraichgau ist man auch mit ganz großen Träumen gestartet, und nun hat sich alles wieder etwas gelegt. Für mich ist Leipzig vor allem Ansporn. Es ist eine Herausforderung, vor ihnen zu stehen. Was soll das Gejammer immer? Wer gut arbeitet, der wird sich keine Sorgen machen müssen.

In England geht es um ganz andere Dimensionen. Ist der Markt in ein Ungleichgewicht geraten?

Thon Die Bundesliga hat keinen Grund, sich kleinzumachen. Die Engländer werden sich mit ihrem vielen Geld noch umschauen. Es sind unfassbare Summen, die da im Spiel sind. Aber die deutschen Teams setzen ihre Mittel oftmals effektiver ein.

Hat der Fußball nicht mittlerweile auch viel von seiner Romantik verloren?

Thon Was meinen Sie konkret? Meinen Sie, dass die Spieler nicht mehr wie wir 1983 auf total vereistem Boden herumgerutscht sind? Dass wir Schraubstollen getragen haben, aus denen die Nägel herausschauten? Ganz ehrlich, lassen wir den ständigen Blick zurück. Es hat sich viel zum Besseren entwickelt.

Sie haben in Ihrer Karriere nur für Schalke und Bayern gespielt. Sind Sie ein glücklicher Fußballer gewesen?

Thon (lacht) Mehr geht ja auch nicht von den Extremen. Das war eine fantastische Zeit. Ich hätte meine Karriere ja eigentlich mit 18 Jahren und einem Tag beenden können - da habe ich beim 6:6 im Pokal 1984 gegen die Bayern drei Tore erzielt. Ich wusste gleich, da konnte nicht mehr viel kommen.

Wann sind Sie mit der Saison des FC Schalke zufrieden?

Thon Wenn man mindestens Platz fünf erreicht. Da fängt es an. Man kann ja schlecht sagen, dass man zufrieden ist, wenn man auf dem achten Rang landet. Dann müsste man sich ernsthaft Sorgen um den FC Schalke machen.

GIANNI COSTA FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

(RP)
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