Gegenstimmen aus der Groko Neuanfang mit Dämpfer für Kanzlerin Merkel

Berlin · Bei ihrer vierten Wahl zur Kanzlerin bekommt Angela Merkel zu spüren, wie groß der Unmut in der neuen großen Koalition ist. Der Bundespräsident spricht von "Bewährungsjahren für die Demokratie".

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Das ist das Kabinett der Ampel-Koalition um Olaf Scholz

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Foto: dpa/Michael Kappeler

Nach der längsten Regierungsbildung in der Geschichte der Bundesrepublik startet die neue große Koalition mit einem Dämpfer für Kanzlerin Angela Merkel in eine schwierige Amtszeit. Die 63-Jährige bekam bei ihrer vierten Wahl zur Bundeskanzlerin am Mittwoch 364 Stimmen und damit nur neun mehr als für die im ersten Wahlgang erforderliche absolute Mehrheit. CDU, CSU und SPD verfügen zusammen über 399 Sitze. Abgeordnete von Union und SPD verdächtigten sich anschließend gegenseitig, Merkel in der geheimen Wahl die Unterstützung verweigert zu haben (hier können sie den Ablauf der Wahl nachlesen).

Vorausgegangen waren fast sechs turbulente Monate seit der Bundestagswahl, bei der alle drei Koalitionspartner schlechte Ergebnisse erzielt hatten. Anschließend durchliefen sie Zerwürfnisse, Richtungsstreits und personelle Konsequenzen. Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble wünschte Merkel nach ihrer Vereidigung — ungewohnt für einen solchen Anlass — alles Gute auf ihrem "schweren Weg".

Ungewöhnlich war auch die Rede von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zur Ernennung der 15 Bundesminister in Schloss Bellevue. Mit Blick auf die teils aufgeheizte Stimmung gegenüber westlichen Demokratien sprach der Bundespräsident von "Bewährungsjahren für die Demokratie". Er warb dafür, der großen Koalition einen Vertrauensvorschuss zu geben, wenn auch mit defensiver Wortwahl: "Eine erneute Verständigung auf diese Konstellation verwirkt nicht den Anspruch, zunächst einmal ernst genommen zu werden — mit dem Ziel, Gutes für das Land zu bewirken."

Sicherheitskräfte überwältigen Mann

Steinmeier mahnte zugleich, diese Regierung müsse sich neu und anders bewähren. Er forderte die Minister auf, "genau hinzuhören und hinzuschauen, auch auf die alltäglichen Konflikte im Land — fern der Weltpolitik". Er lobte es als ein "gutes Signal", dass sich die Kanzlerin künftig dreimal im Jahr Debatten im Parlament stellen will. Indirekt nahm er noch einmal Bezug auf die aufgeheizte Debatte um Armut in Deutschland. Es müsse bewahrt werden, was das Land stark gemacht habe: "die Balance von sozialer Gerechtigkeit und wirtschaftlicher Vernunft".

Im Anschluss erhielten die 15 Bundesminister ihre Ernennungsurkunden vom Staatsoberhaupt und leisteten ihren Eid vor dem Bundestag. Dabei verzichteten Vizekanzler und Finanzminister Olaf Scholz (SPD), Justizministerin Katarina Barley (SPD) und Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) auf die von allen anderen verwendete religiöse Bekräftigung "so wahr mir Gott helfe". Als Merkel das Reichstagsgebäude verließ, rissen Sicherheitskräfte einen Mann zu Boden, der sich ihr mit einem schwer verständlichen Ruf (möglicherweise "Alahu Akbar", also "Gott ist groß") genähert hatte.

Die AfD-Fraktionsvorsitzende Alice Weidel sagte: "Man kann davon ausgehen, dass die Koalition noch vor dem Ablauf der Legislaturperiode das Zeitliche segnen wird." Die AfD ist nun die größte Oppositionspartei. FDP-Chef Christian Lindner, der im November die Jamaika-Sondierungen hatte platzen lassen, sprach angesichts des Ergebnisses von Merkel von "Autoritätsverlust". Die Unzufriedenheit in der großen Koalition sei offensichtlich groß. Die Parteivorsitzende der Linken, Katja Kipping, sagte: "Nur neun Stimmen über den Durst, das ist ein holpriger Start für diese Regierung." Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt kündigte harte Opposition an. Die Grünen würden zeigen, was die Alternativen seien.

"Die Welt erwartet wahrscheinlich sogar zu viel"

Zu den ersten internationalen Gratulanten gehörte der russische Präsident Wladimir Putin. Der neue Außenminister Heiko Maas hat seinen ersten Termin bereits am Mittwochabend in Paris. Merkel fliegt am Donnerstag dorthin.

Der Europa-Abgeordnete David McAllister sagte unserer Redaktion, es sei richtig, dass die Europapolitik eine zentrale Rolle der neuen Bundesregierung spiele. Nun würden vor allem Möglichkeiten diskutiert, wie die Migrations- und Verteidigungspolitik enger koordiniert und die Währungsunion weiter vertieft und krisenfester gemacht werden könne.

Die Welt erwarte nach der Regierungsbildung nun viel, "wahrscheinlich sogar zu viel" von Deutschland, sagte der Vorsitzende des Auswärtigen Bundestags-Ausschusses, Norbert Röttgen (CDU). Die Bundesrepublik müsse nun "wirklich etwas leisten für die Stabilisierung von Ordnungen, die überall zu verfallen drohen". Das gelte besonders innerhalb der Bündnisse. "Von uns hängt entscheidend ab, ob Europa gestaltet oder mehr und mehr an Bedeutung verliert", erläuterte Röttgen.

(kd, may-, qua)
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