Exoten bei der Fußball-WM "Kiwis", "Chŏllimas" und Rye-hyuns Erben

Düsseldorf (RPO). Vielleicht klappt es ja diesmal: 1982, als die Fußball-Nationalmannschaft von Neuseeland zum bisher einzigen Mal an einer WM teilgenommen hat, blieben die "Kiwis" ohne jeden Punktgewinn und schieden nach drei Niederlagen aus. 2010 soll es besser laufen. Endlich ist Neuseeland wieder qualifiziert und will als Exotenteam für Überraschungen sorgen.

Artistisch: Georgy Welcome aus Honduras freut sich auf die WM.

Artistisch: Georgy Welcome aus Honduras freut sich auf die WM.

Foto: AFP, AFP

Anders als etwa 2006, als Trinidad und Tobago seine erste WM-Teilnahme feierte (und spielerisch überzeugte), ist 2010 kein WM-Neuling in Südafrika vertreten. Osteuropäische Nationen wie Serbien oder die Slowakei bestreiten zwar ihr erstes WM-Turnier, deren Fußball-Geschichte ist aber auch mit den Vorgängerstaaten, aus denen sie entstanden sind, verknüpft. Slowakische Fußballer waren ehemals für die CSSR am Ball, Serbien entstand aus Serbien und Montenegro und war erst 2006 qualifiziert.

"Keine kleinen Gegner"

Exoten, die das Turnier bereichern wollen, gibt es trotzdem. Neben Neuseeland fallen auch Honduras und Nordkorea in diese Kategorie. Alle drei Länder eint, dass sie bisher jeweils eine WM bestritten haben und ansonsten relativ weiße Flecken auf der Fußball-Landkarte sind. Das will aber nichts heißen. Seit Rudi Völler wissen wir, dass es "keine kleinen Gegner mehr gibt."

Das soll auch für die Neuseeländer gelten, die in aller Welt nur "Kiwis" gerufen werden. Immerhin: Eine Kiwi enthält Vitamine, die ein Mensch für einen Tag braucht, und die Fußballer aus Ozeanien wollen beweisen, dass sie diesmal fit genug für die Gruppenphase sind. 1982 gab es Pleiten gegen Schottland (2:5), die Sowjetunion (0:3) und Brasilien (0:4). 2010 sind Italien, Paraguay und Slowakei die Gruppengegner.

Gleich fünf Fußballer sind in England aktiv, Chris Killen brachte es sogar zu einem Engagement beim FC Middlesbrough, Ryan Nelson spielt für die Blackburn Rovers. Rory Fallon aus Plymouth sorgte mit einer starken Leistung in der WM-Qualifikation gegen Bahrain für kollektiven Jubel.

Honduras kommt mit Rekordtorschütze Carlos Pavon

Ebenfalls 1982 war Honduras zum bisher einzigen Mal bei einer WM vertreten. In Spanien schieden die Mittelamerikaner durch zwei Unentschieden (1:1 gegen Gastgeber Spanien und 1:1 gegen Nordirland) sowie einer 0:1-Niederlage gegen Jugoslawien in der Vorrunde aus. Heute ist Honduras 36. der Fifa-Weltrangliste und konnte sich wieder für die WM qualifizieren. Gruppengegner sind Chile, Spanien und Schweiz.

Geht da was? Honduras glaubt daran - und baut ebenfalls auf einige Legionäre. Rekordtorschütze Carlos Pavon (57 Treffer) spielt nach 96 Länderspieleinsätzen zwar in seiner Heimat für Real Espana und Amado Guevara (141 Länderspiele) ist für CD Motagua am Ball. Doch die Hoffnung ruht unter anderem auf Wilson Palacios von Tottenham Hotspur.

Sieg über Italien durch Pak Doo-ik

Für große Furore sorgte die Mannschaft Nordkoreas bei ihrer bisher einzigen WM-Teilnahme 1966. Durch einen Treffer des legendären Pak Doo-ik wurde Italien 1:0 besiegt und sensationall das Viertelfinale erreicht. Im Viertelfinale verloren die Asiaten trotz 3:0-Führung mit 3:5 gegen Portugal (Portugal-Star Eusebio gelangen vier Tore).

Trainer war Nordkoreas Fußball-Legende Myung Rye-hyun, der seine Mannschaft 18 Monate lang intensiv auf die WM vorbereitete. Der komplette Kader bestand ausschließlich aus Spielern, die dem Militär des Staates, in dem eine Diktatur herrscht, angehörten. Übrigens: Erst am 14. Mai 2009 besuchte die nordkoreanische Fußball-Nationalmannschaft erstmals nach der WM 1966 wieder West-Europa.

2010 wollen Myung Rye-hyuns Erben in Südafrika überzeugen. Und die Spieler sind heute ebenso durch das Militär ausgebildet wie damals. Viele Nationalspieler sind beim Armeeklub April Twenty-Five ("Sportgruppe 25. April") aktiv. Das Unternehmen WM ist akribisch vorbereitet, immerhin drei Fußballer sind im Ausland aktiv.

Die "menschliche Abrissbirne"

Hong Yong-jo zählt als Spieler von FK Rostow in Russland zu den wenigen Stars. Merken sollte sich der geneigte WM-Zuschauer auch Jong Tae-Se, der als "Rooney Asiens" bezeichnet wird. Den Vergleich mag er nicht, weil Jong glaubt, dass seine Spielweise eher der von Didier Drogba ähnelt. Er wurde in Japan geboren und spielt auch dort für Kawasaki Frontale. Manche bezeichnen ihn wegen seiner Power als "menschliche Abrissbirne".

In einer Gruppe mit Portugal, Elfenbeinküste und Brasilien werden Überraschungen schwerfallen für die "Chŏllimas" - wie sich Nordkoreas Fußballer selbst nennen. "Chŏllima" ist nach der koreanischen Mythologie ein unzähmbares Pferd.

Exoten haben in der Geschichte der Fußball-Weltmeisterschaft das Turnier schon häufig bereichert — wenn auch nicht unbedingt aus sportlicher Sicht. Dafür aber aber durch ihre Präsenz und die außergewöhnlichen Anekdoten, die sich um sie ranken. Beispielsweise bei der WM 1974 in Deutschland, als die Mannschaft von Zaire ihre bis heute einzige Teilnahme bestritt — und Quartier im westfälischen Ascheberg bezog.

Ganz große Augen sollen die Fußballer von Zaire gemacht haben, als sie ihren ersten WM-Bummel durch Ascheberg unternahmen. Vor allem die Elektro- und Rundfunkgeschäfte hatten sie derart begeistert, dass sie ihre gesamte WM-Prämie direkt in "Naturalien" eintauschten. Viele der Verkaufsgespräche sollen mit Händen und Füßen geführt worden sein. Denn in Zaire ist die Amtssprache Französisch, im Münsterland aber nicht.

"Siegt oder sterbt"

Es herrschte eine gewisse Goldgräberstimmung rund um Ascheberg — und das war nicht ungewöhnlich. So oft qualifiziert sich Zaire ja nicht für eine Fußball-WM. 1974 hatte die Delegation ihr Quartier im Hotel Jagdschlösschen bezogen. "Couquer or die" (Siegt oder sterbt) soll Zaires Staatspräsident Mobutu Za Banga den Fußballern mit auf die Reise gegeben haben. Zudem schickte er sechs Container mit Podoho (Räucherfleisch), Mohaba (Huhn), Maccajobo (Stockfisch) sowie Fufu, einem Brei aus Yamswurzeln, mit nach Ascheberg.

Doch die Spezialitäten wurden kaum angerührt, schließlich hatte Hubert Reber, Chef des Jagdschlösschens, seine eigene Speisekarte. Westfälischen Rehrücken kredenzte er den Afrikanern und soll gesagt haben: "Wenn sie den mal gekostet haben, werden sie ihr Affengulasch vergessen."

In der Tat: Reh, Steaks und Spanferkel mit Pils kamen an, ließen die Sportler aber nicht besser Fußball spielen. Mit drei Niederlagen, darunter einer Pleite gegen Schottland im frisch eröffneten Dortmunder Westfalen-Stadion, und 0:14 Toren trat Zaire die Heimreise an.

Prämie in Kassettenrekorder und Stereoanlangen investiert

Überliefert ist zudem eine Rote Karte für Stürmer Mwepu, der Schiedsrichter Angonese aus Italien in den Hintern getreten hatte. Vor dem letzten Spiel gegen Brasilien wollte das Team erst gar nicht antreten, der Sportminister musste die Fußballer mit einer Antrittprämie von rund 6000 Mark "überreden". Die ganze Prämie soll in Kassettenrekorder und Stereoanlangen investiert worden sein — zur Freude der Ascheberger Elektrogeschäfte.

Die Ascheberger staunten zumindest nicht schlecht, als plötzlich 30 Schwarzafrikaner bei ihnen zu Gast waren. Schnell kam man sich näher und für Ilounga, Masseur der Nationalmannschaft von Zaire, war es eine Ehrensache, am freien Tag die Alt-Herren-Spieler des SV Herbern bei deren Kreispokalsieg in Seppenrade zu massieren.

Jener Ilounga war es, der wenige Wochen nach der WM den Boxer Mohammed Ali bei seinem legendären Kampf gegen George Formann in Kinshasa ebenfalls betreute.

Mal schauen, ob es über die Fußballer von Honduras, Nordkorea oder Neuseeland demnächst ähnlich hübsche Geschichten aus Südafrika zu erzählen gibt.

(rl)
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