Flüchtlingskrise Athen fühlt sich alleingelassen

Wien · Österreich schmiedet mit neun Balkanländern eine Asyl-Allianz, die Griechenland in Bedrängnis bringt. So soll die EU zum Handeln gezwungen werden.

 Ein griechischer Offizieller versucht, Flüchtlingen Anweisungen zu geben, die über die Grenze nach Mazedonien wollen.

Ein griechischer Offizieller versucht, Flüchtlingen Anweisungen zu geben, die über die Grenze nach Mazedonien wollen.

Foto: afp, ra/

Vor einem Monat entwickelte der österreichische Außenminister Sebastian Kurz die "Domino-Theorie": Alle Länder auf der Balkanroute sollten die Grenzen für Flüchtlinge weitgehend dichtmachen, bis Griechenland, das Tor nach Europa, allein mit dem Problem übrigbliebe und dermaßen in Bedrängnis gerate, dass die EU-Kommission in Brüssel zum Handeln gezwungen würde.

Mittlerweile ist die anfangs belächelte Domino-Theorie in Teilen der EU reale Asylpolitik geworden: Als Österreich kürzlich Obergrenzen beschloss - täglich 3200 Einreisen und lediglich 80 Asylanträge - reagierten die südlichen Nachbarländer von Slowenien bis Mazedonien umgehend mit verschärften Maßnahmen an ihren Grenzen.

Die Belgrader Regierung setzte am Mittwoch Polizei und Armee wegen der angespannten Lage an der mazedonisch-griechischen Grenze in Alarmbereitschaft: Dort sitzen seit Tagen Tausende Flüchtlinge auf der griechischen Seite fest, weil Mazedonien nur noch Syrer und Iraker als Kriegsflüchtlinge durchlässt. Die Situation gibt eine Ahnung davon, was Griechenland in diesem Frühjahr bevorsteht, wenn der Flüchtlingsstrom wieder anschwillt.

Kurz nutzte die Angst der Balkanstaaten, Europa würde sie mit dem Flüchtlingsproblem alleinlassen. Alle Amtskollegen von neun Staaten entlang der Balkanroute waren der Einladung von Kurz und Innenministerin Johanna Mikl-Leitner nach Wien gefolgt, um vor dem EU-Gipfel Anfang März eine Alpen-Balkan-Allianz zu schmieden, mit der Druck auf die EU-Kommission respektive die offene Asylpolitik Deutschlands ausgeübt werden soll.

Athen attackiert Wien scharf

Dass ausgerechnet Griechenland nicht eingeladen wurde, war durchaus Absicht. Kurz macht die Athener Regierung zum Sündenbock: Anstatt die Schengen-Außengrenze zu schützen, wolle die Regierung Tsipras die Flüchtlinge einfach nach Europa durchwinken. Griechenlands Außenminister Nikos Kotzias reagierte scharf: Die Wiener Konferenz "erweckt den Eindruck, dass bestimmte Parteien in unserer Abwesenheit Entscheidungen treffen, die uns direkt betreffen".

Der zuständige EU-Kommissar Dimitris Avramopoulos nannte in einem geharnischten Brief an die Wiener Regierung Obergrenzen für Asylbewerber eine Verletzung des Völkerrechts. Österreichs Kanzler Werner Faymann antwortete kühl: Würden alle EU-Länder die gleichen Quoten wie Österreich beschließen, könnte man 2,5 Millionen Flüchtlinge verkraften.

Ein Paket mit Zündschnur

Der in Wien verabschiedete Maßnahmenkatalog "zur Drosselung des Flüchtlingsstroms" hört sich zunächst sachlich an, dürfte aber auf EU-Ebene noch für Diskussionsstoff sorgen. Mikl-Leitner sprach von einer "Kettenreaktion der Vernunft", der sich auch die EU-Kommission in Brüssel und Bundeskanzlerin Angela Merkel anschließen mögen. Berlin könne nicht gleichzeitig den Griechen eine Politik der offenen Grenzen zusichern und von Österreich verlangen, alle aufzuhalten, die nach Deutschland wollen. Kurz legte nach: Deutschland solle klar sagen, "ob es noch bereit ist, Flüchtlinge aufzunehmen und wie viele".

Der wohl umstrittenste Passus findet sich auf der Liste der Wiener Konferenz erst an nachrangiger Stelle: "Die Staaten (der Wiener Konferenz) sind angehalten, ihre Grenzen zu kontrollieren und zu schützen." Damit haben sich Österreich und die Balkanstaaten ihre nationalen Alleingänge gegen den Willen Brüssels selber sanktioniert.

Heftig umstritten dürfte auch die Definition sein, welche Flüchtlinge als "schutzbedürftig" gelten und welche nicht. Nach den Wiener Beschlüssen soll dies jeder Staat für sich entscheiden. Wer falsche Papiere vorweise oder falsche Angaben macht, soll ausnahmslos zurückgewiesen werden. Verständigt haben sich Österreich und die Balkanstaaten auch auf die Vereinheitlichung der Registriermodalitäten, um Doppelgleisigkeiten und bürokratischen Mehraufwand zu vermeiden.

Ungarns Premier Viktor Orbán verkündete derweil im Windschatten der Wiener Konferenz, die Bürger seines Landes über die von der EU beschlossenen Flüchtlingsquoten abstimmen zu lassen. Es sei Machtmissbrauch, wenn die EU Quoten für eine "Zwangsansiedlung von Migranten" beschließe, ohne die Bürger zu befragen. Das Datum ist noch offen, doch der Ausgang des Referendums steht bereits fest.

(RP)
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