Erdogan besucht Ägypten, Libyen und Tunesien Türkei will sich als Regionalmacht etablieren

Istanbul (RPO). Sie liefert sich einen handfesten Krach mit Israel, sie verstärkt ihre Kriegsflotte im östlichen Mittelmeer, sie sieht sich als Modell für den "Arabischen Frühling": Energisch wie nie treibt die Türkei ihren Anspruch voran, eine Führungsrolle im Nahen Osten zu spielen. Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan sieht die Chance, sein Land in der Region ganz nach vorne zu bringen. Die Türken strotzen vor Selbstbewusstsein - auch weil sie sich nicht länger als "Ja-Sager" des Westens sehen.

Erdogan-Anhänger bejubeln Wahlsieg
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Kommende Woche besucht Erdogan die von langjährigen Machthabern befreiten Länder Ägypten, Libyen und Tunesien. Auch einen Abstecher in den von Israel abgeriegelten Gaza-Streifen will Erdogan in die Rundreise einbauen. Ob daraus etwas wird, steht noch nicht fest.

Doch selbst die Tatsache, dass Erdogan den Besuchswunsch mehrmals und öffentlich äußerte, spricht für sich. In Gaza herrscht die radikalislamische Hamas, die nicht nur vom Westen boykottiert wird, sondern auch vielen arabischen Regierungen suspekt ist. Erdogan und die Türkei aber lassen Gaza nicht allein - so lautet die Botschaft des Regierungschefs.

Der Pariser Politikwissenschaftler Bertrand Badie sieht in Erdogans Vorgehen das Bestreben, die unruhige Lage in Nahost für die Türkei zu nutzen. In einer Situation, in der viele arabische Machthaber wackeln, betreibt der türkische Regierungschef energische Interessenspolitik für sein Land. "Es gibt (in der Region) ein Vakuum wegen der Schwächung arabischer Macht", sagt Badie. "Die Türkei füllt dieses Vakuum."

Keine Angst vor Israel

Und wie. Erdogans Regierung scheut sich nicht, den Konflikt mit Israel wegen des Todes von neun Aktivisten beim Angriff auf die Gaza-Hilfsflotte im vergangenen Jahr eskalieren zu lassen. Ankara wies den israelischen Botschafter aus, legte die militärischen Beziehungen zu Israel auf Eis und kündigte eine stärkere Marine-Präsenz im östlichen Mittelmeer an. Künftige Gaza-Flotten sollen von türkischen Kriegsschiffen vor israelischen Angriffen geschützt werden.

Es ist nicht das erste Mal, dass die Türkei mit ihrer Nahost-Politik für Aufsehen sorgt. Zusammen mit Brasilien handelte sie im vergangenen Jahr mit dem Iran ein Abkommen aus, das den Streit um das Teheraner Atomprogramm beenden sollte. Amerikaner und Europäer lehnten den Vertrag ab - und fragten sich, ob die Türkei wohl dabei sei, sich von ihrer traditionellen Westbindung zu lösen.

Ankara dementiert das und verweist auf die türkische Nato-Mitgliedschaft und die EU-Bewerbung. Was sich geändert hat, ist die Selbstsicht der Türken. Statt sich wie früher als Partner und Außenposten des Westens zu verstehen, strebt die Türkei heute eine Rolle als eigenes Machtzentrum an. Trotz grundsätzlicher Beibehaltung der Westbindung Ankaras führt dieses neue Rollenverständnis zwangsläufig zu Reibereien mit Verbündeten, auch in Nahost. Israel kann ein Lied davon singen - aber auch Syrien, ein langjähriger türkischer Partner, der sich wegen der Gewalt gegen Demonstranten die Freundschaft Erdogans verscherzt hat.

"Wir sind Partner der USA"

"Wir sind weder Partner des Iran noch von Syrien", schrieb der Kolumnist Mustafa Akyol in der "Hürriyet Daily News" kürzlich. "Aber wir sind sehr wohl Partner der USA - wenn auch nicht deren Ja-Sager."

Mittlerweile richten Erdogan und die Türken ihre Blicke weit über die unmittelbare Nahost-Region hinaus. Vor zwei Wochen besuchte Erdogan die somalische Hauptstadt Mogadischu - als erster Regierungschef eines westlichen Staates seit zwei Jahrzehnten. Auch im komplizierten Verhältnis zwischen Pakistan und Afghanistan engagieren sich die Türken.

Mit dieser "hyperaktiven Diplomatie", wie Badie es nennt, kann die Türkei wegen der politischen Schwäche ihres unmittelbaren Umfeldes und auf der Grundlage ihrer boomenden Wirtschaft möglicherweise noch eine ganze Weile lang punkten. Doch Turbulenzen sind unvermeidlich, wie am Beispiel Israel zu sehen ist. "Die Türkei wird zu einer globalen Macht", sagt Badie. "Aber wenn man größer und mächtiger wird, kann man nicht alle seine Freunde behalten."

(AFP/felt)
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