Interview mit DOSB-Generaldirektor Vesper: "EM und Olympia 2024 - Deutschland kann das"

Düsseldorf · Seit 2006 bekleidet Michael Vesper das Amt des Generaldirektors des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB). In einem Interview mit unserer Redaktion spricht er über künftige Olympia-Bewerbungen und Fehler in der Vergangenheit.

Lieber Herr Generaldirektor Dr. Michael Vesper, mit welcher neuen Funktionsbezeichnung darf ich Sie ab dem 6. Dezember anreden?

Michael Vesper: Das werden die Mitgliederversammlung des DOSB in Dresden und dann das dort neu gewählte Präsidium entscheiden.

Die Tendenz geht dahin, dass Sie dann als Hauptamtlicher an der Spitze des DOSB stehen werden und nicht mehr wie bislang ein ehrenamtlicher Präsident?

Vesper: Der Präsident bleibt Präsident. Aber das Präsidium wird eine Struktur- und Satzungsreform vorschlagen, mit der unter anderem die operative Vorstandsarbeit einschließlich der Haftung vom Ehrenamt auf das Hauptamt übertragen werden soll. Dieser Punkt war in den bisherigen Diskussionen nicht umstritten.

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Der Deutsche Fußball-Bund hat sich nach ähnlicher Diskussion eine Konstruktion geschaffen, die Wolfgang Niersbach als Ehrenamtler an der Spitze wirken lässt. Ein Grund dafür soll sein, dass der hohen Bedeutung der ehrenamtlichen Tätigkeit im DFB damit Rechnung getragen wird.

Vesper: Auch der DOSB ist weiterhin auf das Ehrenamt angewiesen, es geht lediglich um eine klare Aufgabenabgrenzung. Jeder Verband ist frei, über seine eigenen Rahmenbedingungen zu entscheiden. Hauptamtliche Vorstände gibt es schon beim Hockeybund, dem Golf-Verband und einigen anderen, mit unterschiedlichen Nuancen. Wolfgang Niersbach war lange Jahre Generalsekretär und führt den DFB jetzt auch als Präsident absolut professionell. Der DFB beobachtet unsere Reform übrigens mit großem Interesse.

Eine Aufgabe, die dem neuen Vorstandsvorsitzenden — oder wie auch immer die Position dann bezeichnet werden mag — bevorsteht, ist die nächste Olympia-Bewerbung für wann auch immer. Nun ist es dem DOSB zuletzt zweimal mit München nicht gelungen, den vergleichsweise kleinen Wettkampf um die Winterspiele für sich zu entscheiden, warum sollte er dann den großen um die Sommerspiele gewinnen können?

Vesper: Den Winterspielen 2022 trauern wir immer noch hinterher. Angesichts der Bewerberlage und der schon guten Bewerbung für 2018, die dann noch optimiert wurde, hätten wir hervorragende Chancen gehabt. Da haben alle Beteiligten Fehler gemacht, aus denen wir lernen müssen.

Die Winterspiele 2022 sind ein Trauerspiel. In München und dem Umland hat die Bevölkerung gegen eine Bewerbung gestimmt. Nun sind Almaty in Kasachstan, Peking und Oslo geblieben. Wobei die norwegische Bevölkerung einer Bewerbung mehrheitlich ablehnend gegenübersteht.

Vesper: In Oslo gab es zu Beginn, anders als in München, einen Bürgerentscheid pro Bewerbung. Erst jüngst hat sich die Stimmung gedreht und die Politik ist gefragt. Im Übrigen hätte München vor diesen Mitbewerbern keine Angst haben müssen. Wir hatten ein nachhaltiges Konzept auf der Basis bestehender Anlagen. Nicht einmal ein Prozent der benötigten Fläche hätte neu versiegelt werden müssen, das macht uns niemand nach. Aber das ist Schnee von gestern.

Also richtet sich der Blick jetzt auf den Sommer.

Vesper: Wir gehen jetzt eine neue Bewerbung an — angesichts des großen Interesses, das sich in Berlin und Hamburg zeigt, und weil Dreiviertel der Deutschen eine Bewerbung befürworten. Deutschland als eines der stärksten Länder der Welt ist nach 1972 mal wieder dran.

Der eine oder andere träumt laut vom deutschen Supersportjahr 2024 mit Fußball-WM und Olympischen Sommerspielen. Traum oder Albtraum?

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Vesper: Wäre das nicht eine tolle Vorstellung? Im Juni die Fußball-EM nach dem Sommermärchen von 2006 in existierenden Stadien, sechs Wochen später Olympische Spiele in Hamburg oder Berlin und schließlich die Paralympics — das könnte ganz Deutschland voranbringen.

Die Vergabepraxis der internationalen Verbände sah ein großes Fußballturnier und Olympische Spiele in einem Jahr im selben Land bislang nicht vor.

Vesper: Wenn ein Land zwei solch große Sportereignisse in einem Jahr schultern kann, dann ist das Deutschland.

In Wahrheit signalisiert man mit der Bewerbung um die Spiele 2024 doch nur sein Interesse, hat aber tatsächlich vor, die Spiele erst 2028 oder 2032 auszurichten, oder?

Vesper: Man bewirbt sich nicht, um zu verlieren, sondern um zu gewinnen. Aber natürlich wissen wir, dass eine Stadt in vielen Fällen nicht beim ersten Anlauf zum Zug kam. Es gibt auch Gegenbeispiele, Atlanta 1996 und Sotschi 2014 zum Beispiel.

… die Coca-Cola-Spiele und die Putin-Spiele.

Vesper: Wir orientieren uns lieber an Barcelona, Sydney oder London. Deutschland bewirbt sich nach Berchtesgaden 1992, Berlin 2000, Leipzig 2012 und München 2018 bereits zum fünften Mal.

An die meisten Bewerbungen hat man eher schlechte Erinnerungen.

Vesper: An die Bewerbung Münchens habe ich positive Erinnerungen - bis auf die Abstimmung 2011 in Durban, als sich Pyeongchang vor allem deshalb durchsetzte, weil es zuvor zweimal knapp verloren hatte, und an die bitteren Ergebnisse der Bürgerentscheide, die die Bewerbung für 2022 gestoppt haben.

Zu den aktuellen Interessenten. Hamburg ist mit 1,7 Millionen Einwohnern im internationalen Maßstab ein Dorf. Die jüngsten und künftigen Ausrichterstädte Peking, London, Rio de Janeiro und Tokio sind von anderem Kaliber.

Vesper: Es muss nicht immer eine Mega-Metropole sein. Denken Sie an Barcelona.

Allerdings hatte Barcelona für 1992 die besondere Unterstützung des damaligen IOC-Präsidenten Juan Antonio Samaranch, der von dort stammte. Ist Hamburg groß genug für Olympia, auch in der internationalen Wahrnehmung?

Vesper: Eindeutig ja. Hamburg erfüllt alle Kriterien sportfachlicher und infrastruktureller Art. Ich selbst bin mal mit einer Bewerbung Düsseldorf/Rhein-Ruhr angetreten, bei der die eigentliche Bewerberstadt nicht einmal halb so groß war wie Hamburg.

Der Erfolg hielt sich in Grenzen.

Vesper: Weil der damalige Leipziger Oberbürgermeister Wolfgang Tiefensee besser Cello spielen konnte als wir. Es war ein Fehler, mit Leipzig ins Rennen um die Spiele 2012 zu gehen. Die Stadt ist schon in der technischen Vorausscheidung gescheitert, weil es nicht genug Hotelbetten gab. Klar, die Hauptstadt hat immer ein gewisses Prä, aber die zweitgrößte Stadt eines wichtigen Industrielandes ist deshalb noch lange nicht chancenlos.

In Berlin ist der Rückhalt der Bevölkerung für eine Bewerbung nicht so groß wie in Hamburg — und vielleicht nicht so groß, wie er sein müsste, um Erfolg zu haben.

Vesper: Klar ist, dass man die Jugend der Welt nur einladen kann, wenn die Menschen in der Bewerberstadt, aber auch im ganzen Land, dahinterstehen. Das ist eine Grundvoraussetzung, die man nicht hoch genug einschätzen kann. Auch aus Sicht des IOC.

Es gibt — auch im Nachgang zu den Winterspielen in Sotschi - Diskussionen um Russland als Ausrichter großer Sportveranstaltungen. Präsident Wladimir Putin nutzt sie ja, um sich und sein Land darzustellen. Eine Schwimm-WM, eine Eishockey-WM und die Fußball-WM 2018 sollen in Russland stattfinden. Ist es an der Zeit, dass der Sport Stärke zeigt und angesichts der politischen Lage Putin Veranstaltungen wieder abnimmt?

Vesper: Wir sind dafür, die Lage der Menschenrechte schon bei der Vergabe sehr genau zu prüfen und in den Kriterienkatalog einzubeziehen. Einen entsprechenden Vorschlag haben wir zusammen mit den NOK aus der Schweiz, Österreich und Schweden in den von Thomas Bach angestoßenen Reformprozess eingebracht. Die Vergabe findet allerdings sieben Jahre vor dem Ereignis statt. In dieser Zeit kann sich ein Land wandeln, zum Guten und zum Schlechten. Darum kann man Sportveranstaltungen nicht bloß anhand einer aktuellen politischen Einschätzung vergeben oder zurücknehmen. Die Frage ist doch, ob der Sport in Ländern, die nicht den gleichen Stand der Menschenrechte aufweisen wie Westeuropa, etwas Positives auslösen kann. Da gibt es unterschiedliche Ansichten. Es ist immer besser, Brücken zu bauen als Gräben aufzureißen.

Ist es richtig, 2018 die Fußball-WM in Russland auszutragen?

Vesper: Die Doppelvergabe der Turniere 2018 und 2022 an Russland und Katar war eine Entscheidung der Fifa. Katar war von Beginn an sehr stark in der Kritik, zumal die Fifa erst spät entdeckte, dass es dort im Sommer heiß ist. Im Fall Russlands meinten viele, dass die WM irgendwann dorthin gehört. Kurz zuvor hatte Putin im Deutschen Bundestag gesprochen. Dass er eine solche Entwicklung nehmen würde, war nicht abzusehen.

Es wäre ja noch Zeit genug, das Turnier in ein anderes Land zu vergeben.

Vesper: Darüber spekuliere ich nicht. Das zu entscheiden, ist Sache des Fußballs. Bis 2018 kann sich noch manches ändern.

Martin Beils führte das Gespräch.

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